Beitrags-Archiv für die Kategory 'Spekulation'

Alte vietnamesische Handschriften?

Dienstag, 4. November 2008 2:10

Zu den sonderbaren Tatsachen der scheinbaren »Sprache« des Voynich-Manuskriptes gehört es (unter anderem), dass die statistischen Eigenschaften dieser »Sprache« mit keiner europäischen Sprache vergleichbar sind, aber sehr wohl mit einigen fernöstlichen Sprachen, zum Beispiel der chinesischen. Die Theorie, dass es sich beim »Text« des Manuskriptes um eine phonetische Notation einer fernöstlichen Sprache handeln könnte, ist schon recht alt, aber bis heute diejenige Erklärung unter der Annahme einer natürlichen Sprache, die mit dem Textkörper am besten in Übereinstimmung steht.

Zwei Punkte widersprechen der »chinesischen Theorie« aber recht deutlich.

Zum ersten sind die Illustationen im Manuskripte völlig sicher europäisch und fügen sich recht zwanglos in ähnliche europäische Kompendien des astrologischen, kosmologischen, biologischen und medizinischen Wissens, dies aber nicht, ohne dabei einen Satz völlig einmaliger Besonderheiten aufzuweisen. (Insbesondere die Nymphen in den Röhrensystemen sind eine völlig einmalige und damit schwer deutbare Formensprache, für die sich bislang kein vergleichbares Beispiel gefunden hat.) Wie es nicht anders bei diesem Manuskript zu erwarten wäre, hat dieser Teil der Formensprache auch keine fernöstliche Tradition.

Zum zweiten verfügen die fernöstlichen Sprachen schon seit vielen Jahrhunderten über ein Schriftsystem, das völlig anderen Prinzipien folgt als das im Manuskripte anzutreffende System. Im Falle der chniesischen Sprache hat sich die bronzezeitliche, logografische Schrift vor allem deshalb erhalten, weil sie als exquisit nicht-phonetische Notation eine gemeinsame Schriftsprache über eine Vielheit gegenseitig unverständlicher Dialekte des Chinesischen geschaffen hat – wenn auch um den hohen Preis eines breiten Analphabetismus, da das Erlernen dieser Schrift ausgesprochen schwierig ist. Es würde doch ein wenig verwundern, wenn aus diesem Kulturraum ein Zeugnis eines alternativen Schriftsystemes entstanden wäre, dessen einziger Überrest von so deutlich europäischer Prügung ist.

Nun, das mit dem einzigen Überrest muss nicht unbedingt stimmen. Jorge Stofi hat der englischsprachigen Mailingliste vor kurzem ein bemerkenswertes Fundstück mitgeteilt, ein Foto einer alten Handschrift der vietnamesischen Sprache. (Diese Sprache teilt viele Gemeinsamkeiten mit der chinesischen.) Und das sieht doch recht »vertraut« aus, wenn man den Maßstab europäischer, phonetischer Schriftsysteme daran anlegt.

(Es sieht aber leider nicht so vertraut aus, dass man sofort einen Verwandten des Schriftsystemes im Voynich-Manuskript darin zu erblicken wähnt. Aber es zeigt, dass die »chinesische Theorie« gar nicht so abwegig sein muss.)

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Wie sich eine Theorie bildet

Freitag, 3. Oktober 2008 21:08

Ich habe vor einigen Tagen eine Mail mit einer in meinen Augen sehr berechtigten Anfrage erhalten. Ein Leser dieses Blogs fragte mich, wie ich auf die von mir postulierten »harmonischen« Gesetze gekommen wäre. Das ist eine völlig berechtigte Frage, bei der mir sofort aufgefallen ist, dass ich diesen wichtigen Teil meiner Theoriebildung vollständig unterschlagen habe. Es ist gewiss hilfreicher, wenn nicht nur Erkenntnisse publiziert werden, sondern auch der oft sehr steinige Weg, der zu diesen Erkenntnissen geführt hat.

Das erste Mal kam ich auf eine derartige Idee, als ich mich im Jahre 2005 von der Arbeit an den Transkriptionen abwandte und mir die verfügbaren Bilder des Manuskriptes sehr genau anschaute. Ich empfand das »Glyphenzählen« immer mehr als eine Sackgasse, auf der zwar viele Eigenschaften des »Textes« deutlich werden, sich aber nicht zu einem Muster fügen, das Licht auf den Inhalt des »Textes« werfen könnte. Weder gelang es mir, Wortarten zu identifizieren (was nicht verwunderlich wäre, wenn der »Text« in chinesischer Sprache geschrieben sein sollte), noch gelang mir die sichere Identifikation von Vokalen und Konsonanten (aber sehr wohl ein paar Anhaltspunkte, die jedoch zu viele unaussprechliche »Wörter« entstehen ließen), noch fand ich einen möglichen Grund für die merkwürdig geringe Redundanz der Glyphenfolge. Es gibt nicht einmal häufige »Wörter«, die auf bestimmte sprachliche Muster oder Phrasen der Sprache des »Textes« hingedeutet hätten; also keine Fragephrasen wie »Qu‹est-ce que« oder allgemeine Bestandteile der Sprache wie »Ce sont des«.

(Französisch dient mir hier nur deshalb als Beispiel, weil es sehr reich an solchen sprachlichen Mustern ist, während Deutsch sehr viel variabler in der Wortstellung und in den typischen Ausdrucksformen ist. Ich glaube nicht daran, dass die Sprache des möglichen Klartextes Französisch ist, kann es aber natürlich auch nicht ausschließen.)

Dies alles stellte ich fest, als ich mich mit einer Zeichenfolge beschäftigte, die ganz offenbar nicht stark verschlüsselt sein kann, die sogar viele Merkmale einer Sprache aufweist, die bei einer starken Verschlüsselung verschwänden. Es war wie verhext, und ich fand mich bei meiner Beschäftigung mit dem Manuskript in zunehmender Frustration wieder. Der »Text« des Manuskriptes ergab keinen Sinn, und immer mehr empfand ich das ganze Buch als etwas, was gar nicht existieren dürfte.

Deshalb wandte ich mich dem zu, was unzweifelhaft vorhanden ist und in der Beinecke-Bibliothek der Universität zu Yale herumliegt und immer noch auf einen wartet, der es lesen könnte: Dem Manuskript in seiner gebieterischen Existenz und seiner unmittelbaren Erscheinung. Ich fing immer mehr damit an, mich mit dem hervorragenden Bildmaterial des Manuskriptes zu beschäftigen und dieses von Neuem auf mich wirken zu lassen.

Dabei fiel mir eine Eigenschaft des Schriftsystemes auf, die so offensichtlich ist, dass man sie leicht übersehen kann. Hier als Beispiel ein kontrastverstärkter Ausschnitt der Seite 85r1, der so weit verkleinert ist, dass sich der Blick von den vielen, verwirrenden Details abwendet und so das Gesamtbild des Schriftsystemes besser aufnimmt:

Ein Ausschnitt der Seite 85r

Was hier (und auf jeder anderen Seite des Manuskriptes) deutlich wird, das sind zwei Erscheinungen, die in dieser Kombination unerwartet sind. Zum Einen wurde beim Schreiben des Manuskriptes sehr schnell und deshalb auch unsauber vorgegangen; der Schreiber hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, mit einem Lineal ein paar Linien vorzuzeichnen. Zum Anderen aber wirkt die Glyphenfolge selbst in der Schlampigkeit dieses Schreibens noch sehr geschwungen, ausgewogen, ästhetisch ansprechend.

Das verwendete Schriftsystem erzeugt also ein »schönes« Schriftbild, so mein Fehlschluss.

Es war ein Fehlschluss. Es ist völlig ausreichend, einen beliebigen Text in einer beliebigen Sprache mit dem Zeichensatz EVA Hand 1 zu setzen, um zu sehen, dass der ästhetisch ansprechende Eindruck seine Ursache nicht nur im verwendeten Schriftsystem hat:

Dieser Text ist ein Beispiel dafür, dass das Schriftsystem an sich nicht zum harmonischen Eindruck des Manuskriptes führt

Die gesamte, im Manuskript sehr ausgewogene Wirkung des Schriftsystemes wird also zerstört, wenn im gleichen Schriftsystem andere Zeichenfolgen gesetzt werden. Tatsächlich ist das Ergebnis sogar ausgesprochen hässlich, wenn man es mit typischem Voynich-Text vergleicht:

Ein Auszug aus dem Text der Seite 10r, die Zeilenumbrüche stimmen nicht

Der Beispieltext wurde (recht willkürlich) der Seite 10r gemäß der Transkription von Takeshi Takahashi entnommen, die Zeilenumbrüche spiegeln nicht den Stand des Manuskriptes wider. Der ästhetische Unterschied zwischen den beiden Beispielen sollte jedem Menschen unmittelbar auffallen, der auch nur flüchtig hinschaut.

Es gibt also eine Verbindung zwischen dem verwendeten System von Schriftzeichen und dem verwendeten System der Verschlüsselung oder der zugrunde liegenden Sprache. Die Glyphen sind so entworfen, dass der notierte »Text« ästhetisch ansprechend wird, und dies ist gewiss kein Zufall, sondern eine Absicht des Autors. Bei einem Schreiber, der in seinen Niederschriften sonst so wenig Wert auf das Erscheinungsbild legt, überrascht so eine Einsicht. Und sie reizt dazu, dass man diese Eigenschaft des Manusskriptes etwas genauer untersucht, um sie besser zu verstehen.

Auf diesem Weg kam ich zu meinen »harmonischen« Gesetzen für die Glyphenfolge, und diese Gesetze werden von 92 Prozent der »Wörter« im Manuskript erfüllt. Es ist eine weitere Eigenschaft des Textes, die einer Erklärung bedarf – und sei es einfach nur die Erklärung, dass der Wechsel zwischen den i-Glypen und den o-Glyphen eine Bedeutung trägt und dass es sich um zwei alternative, in ihrem Kern gleichermaßen für den Text geeignete Systeme der Niederschrift handele. Der effektive Glyphenvorrat würde sich so nochmals halbieren, ein Großteil des »Textes« bildete sich aus lediglich 10 unterschiedlichen Zeichen. Das einzelne EVA-Zeichen könnte dann nur noch ungefähr 3 Bit Information enthalten; und da viele EVA-Glyphen wohl nur als Bestandteile komplexer aufgebauter Symbole zu betrachten sind, müsste die Redundanz gar noch etwas größer werden. In der Tat deckt sich diese Vermutung gut mit der tatsächlich beobachtbaren Redundanz der Glyphenfolge.

An den harmonischen Gesetzen ist also noch vieles zu erkunden. Bislang habe ich noch keinen Erfolg versprechenden Ansatz gefunden, aber das Verlassen einer Sackgasse durch die Betrachtung des richtigen Manuskriptes war für mich sehr fühlbar.

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Die hohe Redundanz

Mittwoch, 30. Juli 2008 22:42

Es gibt eine Tatsache, die darauf hindeuten könnte, dass das Voynich-Manuskript eben doch »sinnloses Gestammel« und damit ein »Fake« ist. Diese Tatsache ist die hohe Redundanz des Textes, die weder zu einer menschlichen Sprache noch zu einem Code passen will. (Sie würde sehr wohl zu einer musikalischen Notation passen.)

Dieses hohe Maß an Redundanz – oder anders ausgedrückt: dieses geringe Maß in Information in der Glyphenfolge, diese Neigung zu repetitiven Passagen in den »Wörtern« – muss eine Erklärung finden.  Von allen seltsamen Eigenschaften des Manuskriptes ist es wohl diejenige, die am schwierigsten zu verstehen ist. Das Schreibmaterial ist ja nicht billig gewesen, so dass Sparsamkeit in der belegten Pergamentfläche auch ein wirtschaftlicher Vorteil gewesen wäre; und der zeitliche und psychische Aufwand bei der Anfertigung einer Handschrift würde eher zu einem System von Abkürzungen drängen. Beides würde nahelegen, dass mit einem verhältnismäßig geringem Maß an Redundanz geschrieben wird. In der gebieterischen Wirklichkeit des Manuskriptes ist jedoch das genaue Gegenteil der Fall.

Es ist dies ein Rätsel im Rätsel, das bislang jeder Erklärung trotzt. Dennoch verweist es direkt auf den Kern des Problemes, der Glyphenfolge des Manuskriptes eine Bedeutung zuzuordnen. Beim Mitlesen der englischen Mailingliste – ich nehme daran eher passiv teil und versuche, nur jenes Neue, Bedeutende und Weiterführende dort bekannt zu machen, das sich leider nicht jeden Tag findet – habe ich den Eindruck, dass die Redundanz im Manuskripte von beinahe allen aktiven Forschern ignoriert wird, wenn sie ihre Hypothesen bilden.

Tatsächlich gibt es nur genau drei Möglichkeiten, wie es zu der hohen Redundanz kommen konnte, wenn man nicht von einer »Fälschung« ausgeht:

Der Code (oder die Sprache) ist so redundant – Wenn diese Hypothese zutrifft, muss man sich auf eine verhältnismäßig kurze Gesamtnachricht des Manuskriptes einstellen. Eine Seite des Manuskriptes vermittelt denn vermutlich nur eine einzige Bedeutungseinheit, die den ungefähren Inhalt eines Satzes hat. Die große Weitschweifigkeit wurde bewusst eingesetzt, um einen relativ kurzen oder zu seiner Zeit gesellschaftlich brisanten Inhalt so zu verbergen, dass alle Ansätze des Lesens durch einen Nicht-Eingeweihten scheitern müssen. Und das ist dem Code bis heute gelungen, bis ins Zeitalter der computergestützten Kryptanalyse.

Die Redundanz ist nur eine scheinbare – Wenn man hochauflösende Bilder des Manuskriptes betrachtet, fallen einem schnell gewisse Variationen in bestimmten Glyphen auf. Die bislang üblichen Transkriptionen haben diese Variationen unter einem Code zusammengefasst. Was sich etwa in EVA als sh transkribiert, ist eine durchaus große Fülle von Abweichungen des Bogens über den beiden verbundenen e-Glypen, und auch die e-Glyphen selbst entsprechen nicht immer der Standardform. Die Frage, ob sich eine geringere Redundanz zeigt, wenn solche scheinbaren Kleinigkeiten in Betracht gezogen werden, ist durchaus einer ernsthaften Untersuchung würdig. Allerdings würden die Chancen auf eine Entzifferung sehr sinken, wenn sich die Subtilitäten des Schriftbildes als bedeutungstragend erweisen sollten. Der Erhaltungszustand des Manuskriptes ist doch eher bescheiden, es lassen sich die Spuren von mindestens zwei Restaurationen erkennen, von denen mindestens eine offenbar ohne Kenntnis des Schriftsystemes beim Restaurator durchgeführt wurde. Dabei wäre dann gewiss auch Information verloren gegangen. Das Scheitern der heutigen Leseversuche spiegelt den Informationsverlust in der Vergangenheit wider, und ohne großen Aufwand in der physikalischen Untersuchung des Manuskriptes werden die verlorenen Informationen wohl nicht mehr ans Licht kommen.

Es handelt sich nicht um eine Notation gewöhnlicher Sprache – Eine musikalische Notation (immer noch eine meiner Lieblingshypothesen, für deren Beleg ich bislang viel zu wenig getan habe) könnte durchaus eine hohe Redundanz aufweisen. Sie würde auch die leicht beobachtbaren Harmonieregeln bei der Bildung der »Wörter« ein wenig erklären, ebenso wie auch das Scheitern des bisherigen Ansätze zur Entzifferung verständlich würde. Unerklärt blieben hierbei allerdings die Bedeutung der »Labels« zu Illustrationen im Manuskripte und der Bezug der Illustrationen zu einem dann bestehenden musikalischen Kontext.

Tatsächlich denke ich jedes Mal, wenn ich etwas mit hoher Redundanz sehe, sofort an das Voynich-Manuskript. Allerdings gibt es »Mitteilungen« vergleichbarer Redundanz beinahe nur in gewissen Formen der Spam; dort wird des Öfteren mit Hilfe von Software so genannte »Spamprosa« aus anderen Texten im Internet erzeugt, um die Filterung der Inhalte durch Spamfilter auszutricksen. So viel dürfte allerdings gesichert sein: Weder hatte der Autor des Manuskriptes einen Computer zur Verfügung, noch hatte er die Absicht, Spam hinter Pseudomitteilungen zu verstecken.

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f3v: Traumgewächse

Montag, 19. Mai 2008 14:34

Mehr zur Seite f3vMan muss gar nicht so lange in das Manuskript schauen, um zu der Überzeugung zu kommen, dass die darin dargestellten »Pflanzen« wirklich surreal sind und eher einer Traumwelt entspringen. Schon die sechste Seite macht auf dem ersten Blick klar, dass es zumindest einige »Pflanzen« des Manuskriptes gar nicht in der Realität geben kann. Der Versuch, durch eine Identifikation der »Pflanzen« einen Ansatzpunkt für eine Entschlüsselung des Textes zu bekommen, ist zum Scheitern verurteilt.

Das heißt allerdings nicht, dass ich es nicht auch versucht hätte. Eine Zeitlang habe ich mir gesagt, dass diese Pflanzen vermutlich stark stilisiert gezeichnet wurden und deshalb nicht ganz so leicht zu identifizieren sind, dass es aber dennoch möglich sein könnte. Immerhin verspricht die Analyse der dargestellten botanischen Erscheinungen auch einen Weg, den Ort zu finden, an dem dieses Buch geschrieben wurde – und gibt damit eventuell einen wichtigen Fingerzeig auf die darin verwendete Sprache. Leider ist dieser Weg nicht gangbar, weil diese »Pflanzen« nirgends auf der Erde wachsen.

Das wird auf Seite f3v recht deutlich.

Ein Blatt der Pflanze auf Seite f3vSchon die Form der Blätter ist auffällig. Sie ist so auffällig, dass eine ähnliche Pflanze in der botanischen Wirklichkeit sofort identifiziert werden sollte.

Was einem auf dieser Seite als Blatt einer »Pflanze« entgegentritt, erinnert eher an die Karikatur eines Frosches als an ein Organ zur Photosynthese. Da scheinen zwei Beine zu sein, zwei Arme, ein Körper und ein seltsam deformierter Kopf. Selbst bei einer abstrakten Stilisierung einer Pflanze in einem Buch würde doch die Form der wesentlichen Gestaltmerkmale erhalten bleiben.

Aber nicht nur die Blätter sorgen für Zweifel an der botanischen Realität der Pflanze, auch die Wurzel macht einen unwirklichen Eindruck.

Die Wurzel der Pflanze von f3v

Diese Wurzel erweckt den Eindruck mehrerer aufeinandergesteckter Wurzelteile. Am oberen Ende eines solchen Teiles scheint jeweils eine »Plattform« zu sein, aus der die nächste Wurzel entsprießt.

Die Blüte der Pflanze von Seite f3vVöllig sicher scheint jedoch der surreale Charakter der Pflanzen zu sein, wenn man sich einige Blüten anschaut.

Diese Blüte erweckt nicht den Anschein eines pflanzlichen Organes zur Fortpflanzung. Es scheint sich um einen großen, fleischigen Körper zu handeln, der an einem Ende wie aufgeschnitten wirkt. In diesem Ende befinden sich einige nicht besonders deutlich gezeichnete Elemente, die nicht an Fruchtknoten oder Staubgefäße erinnern, sondern eher an unscheinbare Blüten in einer Scheinblüte. Umrahmt wird dieses Angebot an bestäubende Insekten von einem Kranz farbloser Kronblätter, die im Rahmen einer Scheinblüte wenig Signalwirkung entfalten könnten. Es ist eine biologisch sinnlose Blüte.

Auch wenn eine geographische Lokalisierung an Hand solcher »Pflanzen« zum Scheitern verurteilt ist, bleibt der eingangs geäußerte Gedanke vollgültig. Es ist immer noch möglich, an Hand dieser Gewächse einen Ort zu finden, an welchem dieses Manuskript wahrscheinlich entstanden ist. Das Wort »wahrscheinlich« meint hier allerdings nur, dass dieser Schluss wahr zu sein scheint, es ist keine sichere Aussage. Alle diese (oder doch sehr viele dieser) Pfanzen wachsen in der Fantasie eines menschlichen Geistes und nirgendwo auf der Erde. Es sind Traumgewächse.

Das könnte durchaus auch ein Hinweis darauf sein, dass die geschriebenen Teile des Manuskriptes den gleichen Ursprung haben, Trauminhalte sein könnten, die in einer Traumsprache verfasst sind. Jeder Versuch, einen gewöhnlichen sprachlichen Text in diesem Buch zu finden, wäre dann zum Scheitern verurteilt. Die reflektierten Leistungen des wachen Bewusstseins unterscheiden sich nun einmal deutlich von den unbewussten Leistungen des Traumes, der zwar ein vollwertiger, aber doch im Wesentlichen regressiver und ältere Schichten der Psyche offen legender psychischer Akt ist. Natürlich ist dieser Akt dennoch kein strukturloses Rauschen, und er könnte durchaus die im Voynich-Manuskript beobachteten Strukturen hervorbringen. (Über die Strukturen muss ich demnächst einmal einen längeren Text verfassen.)

Das kollektive Scheitern aller wissenschaftlichen Kryptografie der Neuzeit mit ihrer computergestützen Analyse könnte durchaus als ein weiteres Indiz für diese Hypothese aufgefasst werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass das Manuskript nicht doch einem Verständnis zugänglich wäre, es ist nur eher etwas für mutige Psychologen als für »harte« Wissenschaftler. Allerdings habe ich noch keine Idee, wie in dieser Richtung geforscht werden könnte und welchen Beitrag ich dazu leisten könnte. Selbst in einer solchen Forschung wären mir »harte« Daten und reproduzierbare Ergebnisse wichtig.

Und denn gibt es natürlich noch einen psychischen Akt, der dem des Träumens mehr als nur oberflächlich verwandt ist: Das Schaffen von Kunst. Es ist durchaus möglich, dass das Voynich-Manuskript »nur« ein zugegebenermaßen recht ungewöhnliches Kunstwerk ist, das keine Nachricht im Sinn einer Sprache transportieren soll. Auch dann würden alle Ansätze scheitern, einen »Sinn« in diesem »Text« zu finden.

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Wie klingt das Manuskript?

Samstag, 23. Februar 2008 19:03

Ich vertrete ja schon länger die These, dass einer der Gründe, weshalb das Voynich-Manuskript jedem Versuch trotzt, ihm einen ursprünglichen Text zu entreißen, darin liegt, dass es gar keinen »Text« im gewöhnlichen Sinne des Wortes geben könnte. Eine meiner frühen Ideen, die ich niemals weiter verfogte, war, dass es sich um eine Form der musikalischen Notation handeln könne; diese könnte durchaus starke Muster und Regelmäßigkeiten aufweisen. Auch könnten sich auf durch diese These die momentan noch rätselhaften zwei »Sprachen« im Manuskript erklären, sie wären schlicht die beiden Tongeschlechter Dur und Moll.

Nun hat Berj Ensanian ein erstes Experiment angestellt, das Manuskript als Musik zu interpretieren und seine Ergebnisse der englischen Mailingliste und auf seiner Website mitgeteilt. Die folgende, auszugsweise Übelsetzung seiner Mitteilung in der Mailingliste ist von mir, die Links auf erläuterndes Material habe ebenfalls ich hinzugefügt:

Ich zwei  Audiodateien im MP3-Format zum Download und Anhören zur Verfügung gestellt. Du kannst diesen Audiodateien lauschen und sie mit den ersten Absätzen der Seite f20r des Manuskriptes (ein pflanzenkundlicher Text in Currier-Sprache A) und der Seite f95r2 (pflanzenkundlich in Currier-Sprache B) vergleichen. Es handelt sich um eine experimentelle Transkription in Musik. Jedes Stück dauert ungefähr eine Minute. Eine vollständige, in die Einzelheiten gehende Beschreibung dieser Übertragung und der Einschränkungen dieses Experimentes sind verfügbar.  […]

Der präzise Bericht erläutert die Vorgehensweise recht ausführlich. Interessant ist des abschließende Urteil über den Höreindruck (die Übelsetzung ist wieder von mir, die direkten Links auf die MP3-Dateien sind meine Ergänzung):

[…] Und schließlich ein paar Eindrücke von der Gegenüberstellung von f20r mit f95r2: Die Umsetzung von f20r hört sich für meine Ohren erstaunlich gut an. Ich wäre nicht überrascht, so etwas zu hören, wenn jemand entspannt auf seinem Klavier improvisiert. Allerdings klingt die Umsetzung von f95r2 für mich sehr anders. Im Gegensatz zu f20r scheinen sich dort die Zeilen stärker voneinander zu unterscheiden. Vielleicht sind die Zeilen in f95r2 in alternierenden Schreibrichtungen [engl. Wort hier: »boustrophedon«, meine Anmerkung] geschrieben, so dass ihre Musik besser klingt, wenn man das berücksichtigt – ich werde das noch untersuchen. So wie ich es transkribiert habe, ist der Höreindruck zwar nicht schrecklich, aber die musikalische Umsetzung der Seite f95r2 erinnert mich an zufällige Einsprengsel von Daten in einen digitalen Datenstrom, was zuweilen eine Kakophonie ergibt. Verglichen mit f20r, klingt in f95r2 weniger ein musikalisches Thema, weniger innere Ordnung, es klingt ein bisschen, als würde ein unerfahrener Musiker versuchen, ein Stück zu komponieren, dessen Komplexität seine Fähigkeiten übersteigt. Im Gegensatz dazu klingt die Currier-Sprache A der Seite f20r so, als wäre sie von einem verbindenden musikalischen Thema getragen. Vielleicht ist es dieses Muster, das zu der Erwägung führt, dass die Currier-Sprache A näher bei den Mustern einer natürlichen Sprache liegt als die Currier-Sprache B.

Ein wirklich hochinteressantes Experiment.

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f3r: Spekulation zu den »Pflanzen«

Sonntag, 30. Dezember 2007 0:55

Seite f3r in Miniatur-DarstellungDie Seite f3r ist eine Seite des »pflanzenkundlichen« Teiles. Die dort seitenfüllend dargestellte »Pflanze« weist keine erkennbare Ähnlichkeit zu einer in der botanischen Wirklichkeit dieses Planeten wachsenden Pflanze auf. Dieser Schluss scheint zumindest berechtigt, wenn man das Scheitern aller fachkundigen Bemühung vor Augen hat, die Pflanzen des Voynich-Manuskriptes zu identifizieren.

Ist dies ein voreiliger Schluss? Könnte man etwa einen ähnlichen Schluss aus allen bislang gescheiterten Versuchen ziehen, den »Inhalt« des Manuskriptes zu »lesen«, nämlich den Schluss, dass das kollektive Scheitern vieler Geister ein überdeutliches Indiz dafür ist, dass es gar keinen »Inhalt« gibt? Und kann auf dem Hintergrund eines solchen Schlusses Gordon Rugg mit seiner Annahme, dass es sich beim »Text« um einen mit Hilfe von Matrizen und Schablonen angefertigten »Fake« handeln könnte, doch noch recht bekommen? Trotz aller Erscheinungen, die er mit seiner Methode nicht reproduzieren konnte?

Nun, die Lage ist bei den »Pflanzen« ist etwas anders. Während die Schrift beispiellos bleibt und keine leicht widerlegbaren Annahmen über Beschaffenheit und Inhalt zulässt, lassen sich die »Pflanzen« leicht mit ähnlichen Pflanzen in der Natur vergleichen. Denn was in den Zeichnungen dargestellt wird, das sollen unzweifelhaft Pflanzen sein. Die Annahme, dass es sich um wirkliche botanische Erscheinungen handelt, wird dabei in den meisten Fällen recht klar widerlegt. Das hier vielleicht im Text vorgestellte Kraut namens »tsheos« weist zwar eine Kombination vertrauter Merkmale auf, ist aber dennoch nicht identifizierbar.

Detailansicht der BlätterZunächst sollte man sich nicht von der Farbgebung irritieren lassen. Die insgesamt sehr nachlässige Ausführung der Kolorierung steht im Gegensatz zu den zwar schnellen, aber doch alles in allem sorgfältigen Zeichnungen, die der Autor mit einer Feder anfertigte. Diese Farben wurden vermutlich erst nachträglich, vielleicht im Zuge einer Restauration, hinzugefügt, sie gehören eher nicht zum Entwurf des Autors. (Aber selbst das ist nicht völlig sicher.) Damit gehört auch eine typische und sehr verwirrende Eigenschaft vieler »Pflanzen« und auch dieses besonderen »Pflanze« des Manuskriptes nicht zum ursprünglichen Entwurf, und das sind die alternierenden Farben der Blätter.

Der Stängel dieser PlfanzeWas hingegen zum Entwurf gehören dürfte, dass sind die Punkte in Tintenfarbe auf den Unterseiten der stark überlappenden Blätter. Sie sind das einzige Merkmal, das auf diesen Blättern neben der Blattform angedeutet ist, sie scheinen also im Gegensatz zu einer Äderung oder Behaarung wichtig und »auffällig« zu sein. Beim Betrachten drängt sich der Gedanke an Sporen auf, die dargestellte »Pflanze« ist also ein Nacktsamer. Diese Interpretation deckt sich gut mit der Tatsache, dass diese »Pflanze« ohne eine Blüte dargestellt wurde, während die Mehrzahl der »Pflanzen« im Manuskript blühend gezeichnet sind. Auch der mit einer Schraffur auf dem Stängel angedeutete Schatten mit der klaren, explizit nachgezogenen Begrenzungslinie gehört wohl zur ursprünglichen Absicht des Zeichners, er soll vielleicht einen kantigen Stängel andeuten, wie man ihn ja bei vielen Pflanzen finden kann.

Mit diesen Informationen sollte es doch durchaus möglich sein, Kandidaten für die Identifikation der Pflanze aufzufinden. Aber es gibt offenbar keinen Nacktsamer von solcher Gestalt. Denn jeder Versuch, diese enigmatischen »Pflanzen«-Zeichnungen zu identifizieren, ist gescheitert, obwohl ein großes Interesse an einer solchen Identifikation besteht. Es ist ja anzunehmen, dass diese »Pflanzen« einen Bezug zum »Text« der jeweiligen Seite haben könnten. Aber die »Pflanzen« erweisen sich als genau so fantastisch wie der »Text«, vielfach erwecken sie sogar den Eindruck, sie seien wie eine Kollage aus verschiedenen Elementen wirklicher Pflanzen zusammengesetzt.

Genau diese Beobachtung könnte aber auch eine Lösung des »Pflanzen«-Problemes sein. Hierzu nur eine erste, naheliegende Spekulation. Was wäre, wenn es im »Text« gar nicht um eine einzelne »Pflanze« geht, sondern um eine Zubereitung aus verschiedenen Pflanzen, sei es eine Rauschdroge, sei es eine Arznei? Könnte der Autor dann, um die Wirkung einer solchen Rezeptur aus verschiedenen Pflanzen zu illustrieren, eine synthetische »Pflanze« mit Merkmalen aller darin verwendeten Pflanzen ersonnen haben? Könnte der zugehörige »Text« so etwas besagen wie: Eine »Pflanze« (das meint in solchem Fall: eine Zubereitung aus pflanzlichen Bestandteilen), die aus der Wurzel von Kraut A, dem Stängel von Kraut B und den Blättern von Kraut C besteht, hat die folgenden Anwendungsfälle?

In diesem Fall wären auch die Zeichnungen »verschlüsselt«, und zwar auf eine recht wirkungsvolle Weise. Das Geheimwissen, das durch die Form der Niederschrift verborgen wurde, würde nicht leicht in den Illustrationen offenbar werden.

Leider sind diese »Pflanzen« nicht detailliert genug gezeichnet, als dass man die einzelnen Elemente ohne Kenntnis des »Textes« genau bestimmen könnte. Aber dennoch ist diese Spekulation ein Ausgangspunkt für eine mögliche Überprüfung, die den Gedanken wahrscheinlich rasch widerlegen wird. (Das geht mir immer so.) Bei der dargestellten Synthese der Illustrationen sollten gewisse Teile von einer Gruppe Pflanzen mit starker pharmazeutischer Wirkung häufiger verwendet werden; diese Teile könnte man zu identifizieren versuchen, um sie mit Mustern im »Text« der entsprechenden Seite abzugleichen. Wenn sich dabei zeigt, dass gewisse Textmuster regelmäßig oder doch nur häufig zusammen mit gewissen, ähnlich aussehenden Pflanzenteilen auftauchen, könnte diese Spekulation der Wirklichkeit des Manuskriptes nahe kommen. Vielleicht entsteht auf diese Weise sogar ein Ansatz, sich der Bedeutung des »Textes« anzunähern.

Ach, es gibt auch im neuen Jahr noch viele Aufgaben für den, der dieses Manuskript lesen möchte!

In diesem Sinne: Einen guten Rutsch in das neue Jahr.

Ach, eines noch: Ich bin mir völlig darüber bewusst, dass solche Kombinationen aus verschiedenen Elementen typisch für jene Form der unbewussten Verarbeitung ist, die bei jedem Menschen jede Nacht in Träumen manifest werden kann.

Thema: Seiten, Spekulation, Zeichnungen | Kommentare (2) | Autor:

Es sind noch Karten auf der Hand…

Dienstag, 6. November 2007 3:06

…und es sind gute Karten. Hohe Karten, die stechen können. 😉

Ich muss einräumen, dass Claude Martin mich mit seiner Website »Die Karten auf den Tisch« zunächst gut geblendet hat – zum Überzeugen reicht es allerdings nicht so schnell hin, wenn mir jemand nachweisen will, dass das Voynich-Manuskript keinen Inhalt hat. Dafür ist der »Nachweis einer Inhaltslosigkeit« in meinen Augen etwas zu absurd.

Dennoch: Beim ersten Querlesen habe ich meine Augen nicht so sehr auf die Einzelheiten der dargelegten Methode geworfen, erhielt durch die bloße Fülle des Materiales und seine gute Aufbereitung den Eindruck einer sorgsamen Arbeit und fand einen Teil der Ergebnisse recht interessant. Nach einigem Nachdenken und mit zeitlichem Abstand sieht das schon wieder völlig anders aus, sowohl in Bezug auf das Verfahren, als auch in Bezug auf die Schlüsse und weiteren Annahmen.

Die beiden folgenden Notizen geben meine Gedanken zu Claude Martins Veröffentlichung wieder, sie sind noch nicht einmal vollständig.

Das Voynich-Manuskript als moderne Fälschung

Claude Martin muss es selbst eingestehen: Das von ihm beschriebene Verfahren passt gar nicht ins späte Mittelalter. Die Methodik ist sehr aufwändig und benötigt Hilfsmittel modernen Charakters, insbesondere auch billiges Schreibmaterial für schnelle, temporäre Notizen. (Die Verwendung von Ritzungen in Wachstafeln wäre zwar denkbar, aber doch auch zeitraubend und umständlich.)

Daraus zieht er allerdings nicht den Schluss, dass er selbst einem methodischen Fehler aufgesessen sein könnte, sondern er leitet aus dieser »Erkenntnis« ab, dass es sich beim Voynich-Manuskript um eine verhältnismäßig moderne Fälschung handeln muss. Als möglichen Fälscher hat er Wilfrid Voynich in Verdacht.

Dabei bleiben allerdings einige Fragen völlig offen.

Wenn Wilfrid Voynich eine solche Fälschung angefertigt hätte, dann könnte dies ja nur in betrügerischer Absicht geschehen sein. Ein mögliches Motiv könnte der Versuch gewesen sein, ein Manuskript als »wertvoll« auszugeben und teuer zu verkaufen.

Hätte Wilfrid Voynich die Fälschung eines »wertvollen Manuskriptes« beabsichtigt, denn hätte er gewiss auch dafür gesorgt, dass es einen alarmierenden Hinweis auf einen »interessanten Autor« gegeben hätte, um den Preis für sein Werk nach oben zu treiben. Als Händler mittelalterlicher Werke hätte Voynich gewiss gewusst, wie entsprechende, »interessante« Signaturen in den damaligen Codizes ausgesehen haben.

Der mutmaßliche Fälscher hat ja sonst keinen Aufwand gescheut. Er hat sich eine beachtliche Menge altes, völlig unbenutztes Pergament zu beschaffen gewusst, er hat dieses nach einem komplexen Verfahren in einem schwer beherrschbaren System beschriftet und anschließend mit noch unbekannten Mitteln dafür gesorgt, dass die aufgetragene Tinte deutliche Spuren des Verbleichens, Brechens und Alterns aufweist, und zwar am stärksten an jenen Stellen, an denen solche Abnutzung am ehesten zu erwarten gewesen wäre. Er hat sich die Mühe gemacht, zwei zeitlich weit zurückliegende Versuche der Restauration mit großem Aufwand zu simulieren, er hat dabei auch an die diversen Fehler der Restauratoren gedacht, er hat flüchtige Kritzeleien gescheiterter Entzifferer gefälscht und wieder vom Pergament gekratzt, er hat eine zweite, dunklere Tinte für die Seitennummerierung angemischt, die sehr viel weniger beschädigt wurde. Selbst, wenn er als gerissener Buchhändler etliche Tricks kannte, wird er mit dieser Fälschung sehr lange beschäftigt gewesen sein – und so etwas macht niemand, nur um ein Buch zu fälschen, das am Ende der Mühen keinen Menschen interessiert.

So etwas macht man aus Habgier oder Ruhmsucht.

Etliche Autoren wären als »Urheber« einer solchen Fälschung interessant gewesen, Roger Bacon vielleicht von allen am naheliegendsten. Es hätte eine kleine, gefälschte, durch Altersspuren fast völlig verblichene Signatur gereicht, und das gefälschte Buch hätte gewiss seinen zahlungskräftigen Käufer gefunden. Ein Kaufmann weiß doch, wie eine Ware auszusehen hat, die weggehen soll.

Natürlich gelten alle diese Anmerkungen auch für einen anderen Fälscher. Der Aufwand für diese Fälschung ist hoch, wenn es sich um eine Fälschung handelt; übrigens viel höher, als es für ein quickes Geschäft mit einem »wertvollen« Buch nötig gewesen wäre. Denn die geistigen Mittel der heutigen Kryptanalyse standen zur Zeit Voynichs noch gar nicht zur Verfügung, und erst recht keine Möglichkeiten der Datenverarbeitung. Sicherlich, das Pergament, die Tinte und der Stil der Zeichnungen werden gut und von Experten überprüft werden, und dies alles ist ja auch gut getroffen, wenn es sich um eine Fälschung handelt. Aber ein völlig unverständlicher Inhalt hätte mit geringerem Aufwand erstellt werden können. Vermutlich hätte sogar ein optisch überzeugendes, aber eher unsystematisches Gekritzel im richtigen Kontext genügend Eindruck gemacht.

Die Hypothese der modernen Fälschung steht also auf sehr wackeligen Beinen. Viel Aufwand wurde an der falschen Stelle für die auch im Computerzeitalter überzeugende Erfindung eines Schriftsystemes getrieben, während gar kein Aufwand getrieben wurde, um interessierten Käufern mit einem gut platzierten Hinweis auf einen »interessanten Autor« und damit auch auf einen »interessanten Inhalt nach der Entschlüsselung« das Geld aus der Tasche zu ziehen. Das will nicht passen, zumal die gesamte Machart dieser angeblichen »Fälschung« zeigt, dass bei ihrer »Anfertigung« mit viel Intelligenz und hoher krimineller Energie vorgegangen wurde.

Kurz: Das Voynich-Manuskript ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine »moderne« Fälschung. Mit dem Zusammenbruch dieser Möglichkeit bricht aber auch die gesamte Argumentation Claude Martins in sich zusammen – denn das von ihm beschriebene Verfahren will nicht in das Mittelalter oder die beginnende Neuzeit passen, da hat Claude Martin selbst völlig recht. So dass sich weiter ausführen lässt: Das Voynich-Manuskript wurde nicht so angefertigt, wie es Claude Martin auf seiner Website beschrieben hat.

Nur bedeutungslose Zahlenfolgen

Die Frage ist nun, ob Claude Martin dennoch mit seinem Verfahren Aufschluss über die Beschaffenheit des Manuskriptes geben kann. Sein Schluss ist ja klar genug formuliert: Es gibt dort nur Zeichenfolgen, die mit einem nummerischen Verfahren aus bedeutungslosen Folgen von Zahlen erstellt wurden.

Selbst, wenn er damit eine wirkliche, weitere, zunächst verwirrende Eigenschaft der Glyphenfolgen im Manuskript enthüllt hat, sagt dies nichts über den Inhalt des Manuskriptesaus.

Ich habe vor einiger Zeit einem gebildeten Freund mosaischen Glaubens die Frage gestellt, wie zuverlässig wohl die Textüberlieferung der hebräischen Bibel sein würde. Mein Freund meinte, dass die Überlieferung des Textes sehr gut sein müsse. Und dies meinte er nicht nur aus eigener religiöser Überzeugung, sondern unter Bezugnahme auf die Technik, die seit Urzeiten von den Schreibern verwendet wird.

Das alte hebräische Schriftsystem kennt keine Trennung zwischen Zahlzeichen und Lautzeichen; jeder Buchstabe kann auch als Zahl interpretiert werden. Es gibt darin kein System von Stellenwerten wie in den uns vertrauten arabischen Ziffern, sondern eine Gruppe von Zeichen für die Hunderter, eine andere für die Zehner und eine weitere für die Einer. Größere Zahlen müssen als Wort geschrieben werden, sind aber im bäuerlich-nomadischen Kontext der alten Schriften sehr selten. Diese Doppeldeutigkeit des Schriftsystemes ist uralt und überdem fester Bestandteil der jüdischen Mystik.

Bis heute werden biblische Texte von Hand abgeschrieben, für die kultische Verwendung im G‹ttesdienst taugen nur händische Kopien. Die Schreiber nutzen dabei die Doppeldeutigkeit des Schriftsystemes, um eventuelle Fehler erkennen zu können. Es gibt Listen von Summen für jeden wichtigen Abschnitt der hebräischen Bibel, und es gibt auch gewisse Rechentricks, mit denen Buchstabendreher erkannt werden. Die Überprüfung erfolgt durch Nachrechnen, und wenn dabei ein Fehler entdeckt wird, ist die Abschrift kultisch wertlos geworden und kann nur noch zum Zweck der Schulung oder eines persönlichen Studiums verwendet werden. Eine Abschrift jedoch, welche die sehr aufwändigen Prüfungen »übersteht«, wird genau so hoch geachtet wie das Original – diese pragmatische Haltung ist übrigens auch der Grund dafür, warum der mosaische Glaube so selten alte Dokumente bewahrt hat. Dennoch haben die Funde von Qumran belegt, dass die alten Texte hervorragend durch die Jahrhunderte transportiert wurden.

Die Schreiber entwickeln darüber hinaus noch eigene, persönliche Systeme. Sie ordnen sich den Text so an, dass in aufeinander folgenden Zeilen nummerische Muster erscheinen, in denen ein Fehler sofort auffällt. Dabei hilft es ihnen, dass es weder Trennungen zwischen den einzelnen Wörtern noch eine Interpunktion gibt, so dass in der Anordnung der Zeichen eine gewisse Wahlfreiheit besteht.

Die Doppeldeutigkeit des Schriftsystemes wurde aber auch schon von den biblischen Autoren benutzt. In vielen lyrischen Texten, aber auch in so mancher Prosa gibt es große Passagen, in denen die Sätze gleiche Quersummen haben oder allesamt durch Sieben teilbar sind. Vielleicht war das den antiken Menschen eine Gedächtnisstütze beim Auswendiglernen in einer Zeit, in der Schreibmaterial teuer und Buchbesitz den Reichen vorbehalten war – dass solche Strukturen nur dem Spieltrieb alter Dichter und Autoren enthüpft sein sollen, erscheint zumindest mir kaum glaubhaft.

Der biblische Text hat also eine bedeutsame nummerische Struktur.

Das sei die Grundlage des folgenden Gedankenexperimentes.

Stellen wir uns einmal vor, dass wir diese Texte ohne weiteren Kontext vorliegen hätten, dass weder die Religion noch die Ursprungssprache noch eine verwandte Sprache erhalten worden wäre und dass niemand mehr wüsste, dass die zu etwa 30 verschiedenen Glyphen geformten Buchstaben gewisse Lautwerte repräsentieren. Und doch hätten wir durch einen glücklichen Zufall eine größere hebräische Abschrift des biblischen Textes vorliegen, die vor einigen Jahrhunderten mitten im europäischen Kulturraum entstanden ist und alle Kennzeichen eines europäischen Ursprunges trägt.

In diesem Text hätten wir Muster, die uns nahe legten, dass sich in der Zeichenfolge eine Bedeutung finden muss. Vielleicht würden wir es sogar für ein verschlüsseltes Dokument halten, aber bei dieser Annahme würden wir uns darüber wundern, dass die Glyphenfolge viele Eigenschaften einer Sprache zeigt, wenn auch nicht einer Sprache, die im europäischen Kulturraum Spuren hinterlassen hat. Wir würden uns die Köpfe darüber heißreden, welche kryptographische Methode eine Zeichenfolge mit solchen Eigenschaften hervorbringen kann, vielleicht würden viele das ganze Dokument auch für einen »Fake« halten, mit dem ein unbekannter Quacksalber Geld machen wollte. Andere würden freilich bemerken, dass der Fälscher einen viel zu hohen und ökonomisch höchst unvernünftigen Aufwand für diese Fälschung hatte – denn er hätte fast eine eigene Sprache mit einem komplexten Regelwerk, aber auch verwirrenden Ausnahmen ersonnen.

Einige »Verrückte« würden den rätselhaften, wie einen Fremdkörper wirkenden Text zu lesen versuchen. Einfach nur, weil er da ist und die Wissbegierde reizt; aber auch deshalb, weil eine Faszination von dem ausgeht, was nach etablierter Lehrmeinung gar nicht existieren dürfte. Das wären so »Verrückte« wie wir, die glyphenblinden Leser des Voynich-Manuskriptes.

Wir würden in diesem hebräisch geschriebenen Bibeltext einer hypothetischen Welt immer mehr verwirrende Eigenschaften finden, aber mit zunehmenden Wissen bekämen wir keine Klarheit über den Inhalt. Eine interessante Entdeckung wäre beispielsweise, dass zwei verschiedene Sprachen vorliegen – einige modernere Anteile der Bibel sind in Aramäisch geschrieben, während der alte Textbestand hebräisch ist. Diese Sprachen sind sich sehr ähnlich, sie verwenden auch das gleiche Schriftsystem, sie lassen sich aber sicher an Hand statistischer Untersuchungen auseinander halten. Eine andere, eher semantische Entdeckung wäre, dass die vorliegende Sprache offenbar ohne Hilfsverben auskommt, während die in Westeuropa gesprochenen indoeuropäischen Sprachen ausgiebigen Gebrauch von Hilfsverben machen. Es gibt sogar keltische Dialekte, bei denen die Hilfsverben praktisch alle anderen Verben verdrängt haben. (Man sagt darin nicht »ich fühle«, sondern »es ist ein Gefühl in mir«.) Für die slawischen Sprachen, die sehr sparsam mit Hilfsverben sind, wäre allerdings die Grammatik des hebräischen Textes zu einfach.

Wir hätten Konfusion für Jahrzehnte. Und das alles für einen an sich recht unerheblichen Text, für das Dokument einer verschwundenen exoterischen Religionsgemeinschaft. Ein Text, der gelesen nur eine Handvoll Experten wirklich interessierte.

Wir würden in dieser hypothetischen Welt unseres Gedankenexperimentes alles mögliche ausprobieren. Wir würden Glyphen zählen, Ähnlichkeiten zur Struktur bekannter Sprachen suchen, nach kryptographischen Verfahren suchen, die ähnliche Strukturen hervorbringen oder wenigstens nach Autoren Ausschau halten, die ein ähnliches Schriftbild zu Pergament gebracht hätten. Vielleicht würden wir den Text auch für eine untergegangene Sprache halten, aber wir könnten das so lange nicht überprüfen, wie wir kein zweites Dokument in dieser Sprache hätten.

Und dann käme ein – sagen wir mal: – Maude Clartin, der sich mit seiner Idee daran versucht. Mit seiner Idee, dass es sich um notierte Zahlen handelt. Und er würde fündig. Er machte eine Zuordnung von Zeichen zu Zahlen und fände eine deutliche Struktur – deutlicher noch als alles, was Claude Martin am Voynich-Manuskript gefunden hat. Nummerische Muster in der Abschrift. Passagen mit gleicher Quersumme, mit gleichen Divisionsresten.

Und dieser imaginäre Maude Clartin baute sich eine Website und schriebe darin, dass er das leidige Rätsel geknackt hat. Er entwickelt ein umständliches Verfahren, wie man nichts sagendes Zahlenreihen unter Zuhilfenahme gewisser syntaktischer Regeln in hebräische Zeichenfolgen mit ähnlichem Erscheinungsbild wie im vorliegenden Dokument verwandeln kann, und er behauptete, dass das alles wäre. Dass es sich einfach nur um sinnlose Zahlenfolgen nach aufwändiger Transformation handele. Und um das zu belegen, nimmt er größere Textabschnitte und zeigt die nummerischen Muster darin auf. Er ist völlig von der Bedeutung seines Fundes überzeugt, je länger er sich damit beschäftigt, Maude Clartin hat die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht…

Leider sind ihm bei seiner Entdeckung die Geschichten von Adam, Eva, Kain, Abel, Isaak, Abraham, Sara, Bileam, Mose, Josua, Gideon, Simson, Saul, David, Jonatan und vielen anderen entgangen. Die stehen da einfach als übergeordnete Struktur neben dem recht einfachen nummerischen Muster, auf das sich Maude Clartin bei seiner rein nummerischen Analyse konzentriert hat.

Beim Voynich-Manuskript wissen wir nicht, ob es einen solchen Text gibt.

Wir wissen es auch nicht, nachdem Claude Martin ein nummerisches Muster gefunden haben will.

Und damit wissen wir genau so viel wie vorher. Auch, wenn eine etwas reißerische Website die Karten auf den Tisch legen wollte.

Anmerkungen und Randnotizen

  1. Für die Fälschung eines »interessant und wertvoll aussehenden« Manuskriptes wäre es noch nicht einmal nötig gewesen, ein eigenes Schriftsystem zu erfinden, wenn es »verschlüsselt« ist.
  2. Gegen jede »moderne« Fälschungshypothese spricht der eigentümliche Charakter der Illustrationen. Ein »moderner« Fälscher hätte sich bestimmt Mühe gegeben, hier grafische Andeutungen zu machen, die den Appetit des Kaufinteressierten wecken – ein Bezug zu modernen Erkenntnissen in alchimistischer Darstellung wäre gewiss erschütternd, bis die Fälschung entlarvt wurde. Stattdessen gibt es viele Pflanzen, die vor allem selbst wie eine Kryptographie wirken.
  3. Ich muss den Namen meines Freundes mosaischen Glaubens hier verschweigen, weil er mich darum gebeten hat. Er befürchtet antisemitische Übergriffe und hat offenbar auch entsprechende Erfahrungen. Es ist traurig, wie viel Raum die Barbarei unter den Menschen gefunden hat.
  4. Die Schreibweise G‹ttesdienst entspricht einer jüdischen Konvention, die das Heilige vom Profanen zu trennen trachtet. Es ist nicht meine Erfindung. Ich habe die Schreibweise hier nur übernommen.
  5. Die Bedeutung der nummerischen Struktur der hebräischen Bibel für die jüdische Mystik kann man gar nicht überschätzen. Sie hat einen großen Beitrag zur esoterischen Tradition des Judentums geleistet, aber auch manchen volkstümlichen Aberglauben beflügelt. Nichts spricht dagegen, dass auch andere Sprachen mit einer solchen Doppeldeutigkeit des Schriftsystemes ähnliche formale Wege gehen können. In diesem Zusammenhang ist es beachtenswert, dass der eigentliche Text des Voynich-Manuskriptes keinerlei Ziffernfolgen zu enthalten scheint, dass also eventuell enthaltene Zahlen im normalen Glypensystem notiert wurden. Von daher ist eine nummerische Struktur im Text nicht so überraschend, wie es zunächst scheint.
  6. Es gibt keine besondere Ähnlichkeit zwischen der Struktur der hebräischen Sprache und der Glyphenfolge des Voynich-Manuskriptes. Der hebräische Vergleich dient hier nur als sehr anschauliches Beispiel für die Gefahr zu schnell gezogener Schlüsse und als Mahnung, was einem entgehen kann, wenn man zu früh aufgibt.
  7. Ich will Claude Martin mit dem Kunstnahmen Maude Clartin nicht beleidigen. Ich will vielmehr mit diesem Namen klarstellen, dass ich eine hypothetische Person in einer hypothetischen Welt betrachte, die sich aber durchaus ähnlich wie Claude Martin verhält.

Thema: Spekulation | Kommentare (1) | Autor:

Die Adlerwurzel

Freitag, 27. Juli 2007 18:56

Sieht diese Wurzel nicht wie ein Adler aus?Dieser Bildausschnitt ist nicht etwa eine ungelenkige Zeichnung eines heraldischen Adlers, obwohl der Gedanke beim Anblick wirklich nahe liegt. Die Zeichnung macht nicht den Eindruck, dass sie den Bestandteil einer Pflanze darstellt.

Es handelt sich hier aber um der Wurzelwerk der »Pflanze« auf Seite f46v. Diese »Pflanze« macht auch in ihren anderen Gestaltmerkmalen nicht den Eindruck, als hätte ein botanisches Vorbild Modell gestanden. Die Blattform erinnert entfernt an Farne, aber im Gegensatz zu einem Farn gibt es recht auffällige Kelchblüten, die von einem langen, gekrümmten Blütenstängel abgehen.

Bei vielen »Pflanzen« im Manuskript erscheint es kaum glaubhaft, dass es sich um real wachsende Pflanzen handeln soll, selbst eine starke Stilisierung würde erkennbare Gestaltmerkmale erhalten.  Was hier gezeichnet wurde, hat kein biologisches Vorbild, sondern ein psychisches. Unter diesen Umständen erscheint es verständlich, dass bislang alle Versuche gescheitert sind, diese »Pflanzen« zu erklären oder zu identifizieren. Sie entwuchsen der Seele des Zeichners, sie stellen somit psychische und damit individuell erfahrene oder spirituelle Tatsachen dar, keine biologischen.

Die Vorstellung, dass der Text von ähnlicher Beschaffenheit sein könnte, macht natürlich erklärlich, warum bis heute jeder Versuch gescheitert ist, darin etwas zu »entziffern«.

Thema: Seiten, Zeichnungen | Kommentare (3) | Autor:

Eine Sprache

Freitag, 26. Januar 2007 1:35

Nachdem ich die Arbeit an diesem leidigen Manuskript und seinen Transkriptionen so lange ruhen lassen habe, fühle ich doch wieder einmal ein gewisses Bedürfniss, über das Thema zu schreiben und eine Frage an das Manuskript zu beleuchten.

Die Frage, die ich mir heute stelle, ist leicht zu formulieren, aber schwierig zu beantworten: Handelt es sich bei der Glyphenfolge im Manuskript möglicherweise um eine direkt notierte Sprache?

Mit »direkt notierter Sprache« meine ich eine wie auch immer geartete phonetische Notation dessen, was Menschen sprechen. Dass es sich hier nicht um ein lateinisches Alphabet in einer lediglich unüblichen oder vergessenen Kursive handelt, sollte angesichts eines ersten Blickes in das Manuskript sofort klar werden:

Ein Beispiel-Absatz

Schon an diesem kleinen Beispielabsatz aus dem letzten Abschnitt des Manuskriptes fällt auf, dass gewisse Zeichen nur am »Wortanfang« auftreten, andere Zeichen hingegen fast nur am »Wortende«. Eine solche Erscheinung ist für das lateinische Alphabet völlig ungewöhnlich. Ebenso erscheint es wenig plausibel, dass die nach oben über die Schriftlinie hinausragenden Zeichen (die so genannten »Gallows«) in einer solchen Ausschließlichkeit die zweite oder dritte Position im »Wort« einnehmen sollten. (Lediglich das erste Wort eines Absatzes oder einer Zeile beginnt häufig mit einem solchen Zeichen.)

Gegen die Möglichkeit einer direkt notierten Sprache sprechen die Eigenschaften der »Wörter« und der »Wortfolgen«. Sie haben einen ungewöhnlich peniblen formalen Aufbau, und zudem sind aufeinanderfolgende »Wörter« oft sehr ähnlich oder sogar identisch. Wenn es eine Sprache wäre, hätten die Wörter die Eigenschaft, dass ihre Zeichen in einer bestimmten Sortierung aufträten und zudem aufeinander folgende Wörter große klangliche Ähnlichkeiten aufwiesen. Gesprochen klänge so etwas ungefähr wie: »quhaan hlun nam naam nalun um um uun quaam kuaam an«, wobei die hier verwendenten Laute natürlich völlig willkürlich gewählt sind.

Das ist aber kein Argument dafür, dass es sich nicht um eine Sprache handelt. Ganz im Gegenteil ist es eher ein Argument dafür, dass es sich nicht um ein einfaches Verfahren zur Verschlüsselung eines Textes handelt. Wenn es ein einfacher Schlüssel wäre, der Buchstaben auf bestimmte Zeichen abbildet, blieben dabei viele Eigenschaften des verschlüsselten Textes erhalten; wäre es hingegen ein komplexes Verfahren mit häufigen Schlüsselwechseln mitten im Text, so würde das Auftreten derart starker Regelmäßigkeiten verwundern. Ein Verfahren zur Verschlüsselung (und zwar eines, das mit mittelalterlichen Hilfsmitteln realisierbar ist), dass solche Strukturen erzeugt, suche ich schon recht lange…

Die Mondin mit den zwei SichelnWenn es sich um eine direkt notierte Sprache handelt, zeigt sich in solchen Strukturen die phonetische Struktur der Sprache. In diesem Fall kann eine Aussage über die Sprache des Manuskriptes gemacht werden: es ist gewiss keine europäische Sprache. Und das würde wiederum verwundern, da nichts im Manuskript auf einen außereuropäischen Ursprung hindeutet – schon gar nicht die Illustrationen. Diese sehen genau so aus, wie man es von einem späten mittelalterlichen Kompendium der Wissenschaft Europas erwarten würde. Deshalb erscheint es völlig unglaubwürdig, dass im Manuskript eine außereuropäische Sprache notiert sein sollte.

Darüber hinaus haben schon viele Forscher die Glyphen des Manuskriptes mit allen möglichen (und unmöglichen) Schriftsystemen verglichen, ohne dass dies irgend eine zwingende Ähnlichkeit zu Tage gebracht hätte. Das heißt natürlich nicht, dass nicht immer wieder einmal jemand mit hohem argumentativen Aufwand eine bestimmte Hypothese vertreten hätte, natürlich ohne, dass diese Hypothese Aufschluss über die Botschaft des Manuskriptes gegeben hätte.

Vexierbild eines TotenkopfesDas gesamte Manuskript hat viel von einem Vexierbild. In der einen Betrachtungsweise zeigt sich dieses Bild, in der anderen jenes. Es ist aber bei aller Bemühung nicht möglich, diese beiden Betrachtungen zu einem geschlossenen Bild zusammenzufügen und zu einer Einsicht zu kommen. Manchmal glaube ich, dass genau diese quälende Eigenschaft ein wesentlicher Bestandteil der Botschaft ist, vielleicht sogar die Hauptsache; und alle Bemühungen, der »Schrift« einen konsistenten, verständlichen und klaren Inhalt zu entreißen, werden für immer vergebens bleiben. Das Manuskript wäre denn nicht das scheinbare Kompendium einer Wissenschaft, sondern ein Kunstwerk. Aber ein solches Maß an Surrealismus, vielleicht sogar Dadaismus im künstlerischen Ausdruck will ebenfalls gar nicht in das späte europäische Mittelalter passen, aus dem dieses Buch voller Rätsel doch sicher stammt.

Ein Königreich für eine Zeitmaschine. 😉

Thema: Kunst, Spekulation | Kommentare (1) | Autor:

Eine Abschrift?

Dienstag, 19. Dezember 2006 3:35

Eine Frage, die immer wieder einmal aufkommt, ist diese: »Handelt es sich beim Voynich-Manuskript um das Original oder um eine Abschrift?«

Natürlich ist jede Antwort auf diese Frage spekulativ, so begründet sie auch klingen mag. Zu wenig ist über das Manuskript bekannt. Es gibt gute Gründe, warum es sich wahrscheinlich um eine Abschrift handelt, und es gibt ebenso gute Gründe, warum diese guten Gründe im speziellen Fall des Voynich-Manuskriptes möglicherweise nicht zutreffen. Diese kleine Darlegung ist nicht vollständig und schnell geschrieben, aber sie zeigt die wichtigsten, mit dieser Frage verbundenen Probleme auf.

Zunächst einmal ein ganz einfaches Argument: Wenn es ein Original gibt, von dem abgeschrieben wurde, und wenn später wiederum von den Abschriften weitere Abschriften hergestellt wurden, denn wurden sehr viel mehr Abschriften als »Originale« hergestellt. Manuskripte unterliegen aber genau dem gleichen Zerfall wie alle anderen kulturellen Güter; sie können verbrennen, bewusst zerstört werden, verloren gehen oder einfach im Laufe der Zeit auseinanderfallen. Kriege, religiöse Verfolgungen und andere Ausbrüche der Barbarei hat es in der Zeit zwischen 1450 bis heute in ganz Europa genug gegeben, so dass man sich sicher sein kann, dass ein Großteil der damaligen kulturellen Güter in irgend einer Weise zerstört wurde, gleich, wie viel Mühe auch für den Erhalt dieser Güter aufgewendet wurde. Die Anzahl der bis heute erhaltenen Manuskripte aus dem Mittelalter ist wesentlich kleiner als die Anzahl der im Mittelalter angefertigten Manuskripte. Die meisten Manuskripte sind uns folglich nicht als Original, sondern als Abschriften erhalten geblieben.

Nebenbei gesagt: Wichtige Dokumente unserer Kultur liegen uns nur in Abschriften vor, die zudem oft kleine inhaltliche Abweichungen voneinander haben. Es existiert zum Beispiel keine einzige Originalschrift irgendeiner biblischen Textstelle. Die Annäherung an den ursprünglichen Text der Bibel ist eine schier endlose Beschäftigung für einige sehr spezialisierte Wissenschaftler, die schon sehr viel Denkarbeit erfordert hat. Zum Glück liegen viele alte Quellen des biblischen Textes vor, so dass eine gut begründete Textkritik Beachtliches geleistet hat – die Abweichungen des rekonstruierten Textes von dem Textstand der Qumran-Rollen sind nur marginal. Das erweckt Glauben in die Vernunft der angewandten Methodik. (Der Apostel Paulus meinte allerdings zu den buchstabentreuen Theologen seiner Zeit: »Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig«.)

Der etwas zu schnelle Schluss aus dem »einfachen Argument« lautet so: Das Voynich-Manuskript ist ein Manuskript (das ist sehr einfach zu erkennen) und die meisten Manuskripte sind uns nur als Abschrift erhalten geblieben, also ist das Voynich-Manuskript wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Abschrift.

Es gibt allerdings einige Beobachtungen am Manuskript, die diesem schnellen Schluss widersprechen. Das beachtlichste Argument gegen die Annahme einer Abschrift sind die beiden »Currier-Sprachen« A und B.

Es handelt sich hier nicht um »Sprachen« im normalen Sinne des Wortes, da uns die Sprache des Manuskriptes unbekannt ist. Aber es handelt sich um nachweisbare und sehr klare statistische Unterschiede in der Struktur der Glyphenfolge in gewissen, zusammenhängenden Bereichen des Manuskriptes. Diese gehen immer mit einem zweiten Merkmal einher, nämlich mit zwei verschiedenen Handschriften, die klar und ausnahmslos den beiden »Currier-Sprachen« entsprechen. (Allerdings ist die Erkennung der Handschriften nicht so sicher wie die Erkennung der »Sprachen«, sie ist aber an vielen Stellen deutlich genug.) Die daraus abgeleitete Schlussfolgerung, dass das vorliegende Manuskript das Werk (mindestens) zweier Schreiber ist, wirkt gut begründet und logisch. Vielleicht ist es eine der ganz wenigen konkreten Aussagen, die überhaupt zu diesem Manuskript gemacht werden kann.

Es ist nun aber sehr unwahrscheinlich, dass eine solche Übereinstimmung zwischen verschiedenen, durch statistische Analyse messbaren Strukturen in der Glyphenfolge und verschiednen, durch Augenschein erkennbaren Handschriften bei einer Abschrift erhalten bliebe.

Und deshalb sind die Ergebnisse Curriers ein Hinweis darauf, dass es sich beim vorliegenden Voynich-Manuskript um ein Original handelt.

Aber auch dieser Hinweis ist nicht so sicher, dass er keinen Zweifel mehr zuließe. Es ist ja durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlich, dass eine Abschrift von Menschen angefertigt wurde, die den »Text« des Manuskriptes auch lesen konnten. Wenn es sich wirklich um zwei verschiedene Sprachen oder Dialekte handelt, dann würde natürlich jeder Kopist seine eigene Sprache oder seinen eigenen Dialekt abschreiben, und es käme wieder zur Deckung einer statistisch erfassbaren Struktur mit einer Handschrift. Allerdings würde ich in diesem Fall viel darum geben, diese beiden »Dialekte« mit ihrer extremen Redundanz einmal zu hören – es erscheint mir geradezu unmöglich, dass gleich zwei ausgestorbene und sonst nirgends dokumentierte Sprachen nur in diesem einen Manuskript überliefert worden sein sollen.

Wie so viele andere Fragen lässt sich auch die Frage, ob das Voynich-Manuskript ein Original oder eine Abschrift ist, viel leichter stellen als vernünftig beantworten. Ich persönlich bin des Glaubens, dass wir das Original des Manuskriptes vorliegen haben.

Beim Versuch, das Manuskript zu lesen, hätte ein Original-Manuskript zwei Vorteile: Wir müssten nicht auch noch darüber spekulieren, wo ein unverständiger Kopist möglicherweise ein paar Fehler gemacht hat; und wenn uns eine Altersbestimmung des Manuskriptes gelingt, würde diese auch dem Alter des darin geschriebenen »Textes« entsprechen. Beides kann für das Verständnis des »Textes« hilfreich sein.

Auch ein ganz kleines Indiz am Rande spricht dafür, dass es sich um das Original-Manuskript handelt. Das Voynich-Manuskript weist Spuren verschiedener Restaurationen in der Vergangenheit auf. Auf einigen hochauflösenden Bildern des Manuskriptes lassen sich klar drei verschiedene Schichten von Tinte ausmachen, wobei die unterste Schicht, die mutmaßliche Originaltinte (vor allem in der Tierkreis-Sektion) stark verblichen ist. Die beiden anderen Tinten sind die Spuren zweier späterer Versuche, den verbleichenden »Text« des Manuskriptes mit frischer Tinte nachzuziehen und so zu erhalten.

Jemand muss diese Restaurationen durchgeführt haben.

Wer immer dieser Jemand war, er ist offenbar nicht auf die Idee gekommen, den Text des Manuskriptes zu erhalten, indem er eine Kopie des Manuskriptes anfertigt oder anfertigen lässt. Schon zu diesem Zeitpunkt war das Manuskript offenbar so unverständlich, dass ein Kopierversuch fehlerträchtig gewesen wäre. Vielleicht wurde aber auch das vorliegende Original-Manuskript bereits als besonders wertvolles Werk angesehen. Von der Anfertigung einer »schlechten« Kopie wurde jedenfalls abgesehen.

Ach, wenn wir doch nur mehr wüssten!

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