Beitrags-Archiv für die Kategory 'Seiten'

f3v: Traumgewächse

Montag, 19. Mai 2008 14:34

Mehr zur Seite f3vMan muss gar nicht so lange in das Manuskript schauen, um zu der Überzeugung zu kommen, dass die darin dargestellten »Pflanzen« wirklich surreal sind und eher einer Traumwelt entspringen. Schon die sechste Seite macht auf dem ersten Blick klar, dass es zumindest einige »Pflanzen« des Manuskriptes gar nicht in der Realität geben kann. Der Versuch, durch eine Identifikation der »Pflanzen« einen Ansatzpunkt für eine Entschlüsselung des Textes zu bekommen, ist zum Scheitern verurteilt.

Das heißt allerdings nicht, dass ich es nicht auch versucht hätte. Eine Zeitlang habe ich mir gesagt, dass diese Pflanzen vermutlich stark stilisiert gezeichnet wurden und deshalb nicht ganz so leicht zu identifizieren sind, dass es aber dennoch möglich sein könnte. Immerhin verspricht die Analyse der dargestellten botanischen Erscheinungen auch einen Weg, den Ort zu finden, an dem dieses Buch geschrieben wurde – und gibt damit eventuell einen wichtigen Fingerzeig auf die darin verwendete Sprache. Leider ist dieser Weg nicht gangbar, weil diese »Pflanzen« nirgends auf der Erde wachsen.

Das wird auf Seite f3v recht deutlich.

Ein Blatt der Pflanze auf Seite f3vSchon die Form der Blätter ist auffällig. Sie ist so auffällig, dass eine ähnliche Pflanze in der botanischen Wirklichkeit sofort identifiziert werden sollte.

Was einem auf dieser Seite als Blatt einer »Pflanze« entgegentritt, erinnert eher an die Karikatur eines Frosches als an ein Organ zur Photosynthese. Da scheinen zwei Beine zu sein, zwei Arme, ein Körper und ein seltsam deformierter Kopf. Selbst bei einer abstrakten Stilisierung einer Pflanze in einem Buch würde doch die Form der wesentlichen Gestaltmerkmale erhalten bleiben.

Aber nicht nur die Blätter sorgen für Zweifel an der botanischen Realität der Pflanze, auch die Wurzel macht einen unwirklichen Eindruck.

Die Wurzel der Pflanze von f3v

Diese Wurzel erweckt den Eindruck mehrerer aufeinandergesteckter Wurzelteile. Am oberen Ende eines solchen Teiles scheint jeweils eine »Plattform« zu sein, aus der die nächste Wurzel entsprießt.

Die Blüte der Pflanze von Seite f3vVöllig sicher scheint jedoch der surreale Charakter der Pflanzen zu sein, wenn man sich einige Blüten anschaut.

Diese Blüte erweckt nicht den Anschein eines pflanzlichen Organes zur Fortpflanzung. Es scheint sich um einen großen, fleischigen Körper zu handeln, der an einem Ende wie aufgeschnitten wirkt. In diesem Ende befinden sich einige nicht besonders deutlich gezeichnete Elemente, die nicht an Fruchtknoten oder Staubgefäße erinnern, sondern eher an unscheinbare Blüten in einer Scheinblüte. Umrahmt wird dieses Angebot an bestäubende Insekten von einem Kranz farbloser Kronblätter, die im Rahmen einer Scheinblüte wenig Signalwirkung entfalten könnten. Es ist eine biologisch sinnlose Blüte.

Auch wenn eine geographische Lokalisierung an Hand solcher »Pflanzen« zum Scheitern verurteilt ist, bleibt der eingangs geäußerte Gedanke vollgültig. Es ist immer noch möglich, an Hand dieser Gewächse einen Ort zu finden, an welchem dieses Manuskript wahrscheinlich entstanden ist. Das Wort »wahrscheinlich« meint hier allerdings nur, dass dieser Schluss wahr zu sein scheint, es ist keine sichere Aussage. Alle diese (oder doch sehr viele dieser) Pfanzen wachsen in der Fantasie eines menschlichen Geistes und nirgendwo auf der Erde. Es sind Traumgewächse.

Das könnte durchaus auch ein Hinweis darauf sein, dass die geschriebenen Teile des Manuskriptes den gleichen Ursprung haben, Trauminhalte sein könnten, die in einer Traumsprache verfasst sind. Jeder Versuch, einen gewöhnlichen sprachlichen Text in diesem Buch zu finden, wäre dann zum Scheitern verurteilt. Die reflektierten Leistungen des wachen Bewusstseins unterscheiden sich nun einmal deutlich von den unbewussten Leistungen des Traumes, der zwar ein vollwertiger, aber doch im Wesentlichen regressiver und ältere Schichten der Psyche offen legender psychischer Akt ist. Natürlich ist dieser Akt dennoch kein strukturloses Rauschen, und er könnte durchaus die im Voynich-Manuskript beobachteten Strukturen hervorbringen. (Über die Strukturen muss ich demnächst einmal einen längeren Text verfassen.)

Das kollektive Scheitern aller wissenschaftlichen Kryptografie der Neuzeit mit ihrer computergestützen Analyse könnte durchaus als ein weiteres Indiz für diese Hypothese aufgefasst werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass das Manuskript nicht doch einem Verständnis zugänglich wäre, es ist nur eher etwas für mutige Psychologen als für »harte« Wissenschaftler. Allerdings habe ich noch keine Idee, wie in dieser Richtung geforscht werden könnte und welchen Beitrag ich dazu leisten könnte. Selbst in einer solchen Forschung wären mir »harte« Daten und reproduzierbare Ergebnisse wichtig.

Und denn gibt es natürlich noch einen psychischen Akt, der dem des Träumens mehr als nur oberflächlich verwandt ist: Das Schaffen von Kunst. Es ist durchaus möglich, dass das Voynich-Manuskript »nur« ein zugegebenermaßen recht ungewöhnliches Kunstwerk ist, das keine Nachricht im Sinn einer Sprache transportieren soll. Auch dann würden alle Ansätze scheitern, einen »Sinn« in diesem »Text« zu finden.

Thema: Kunst, Seiten, Spekulation | Kommentare (0) | Autor:

f3r: Spekulation zu den »Pflanzen«

Sonntag, 30. Dezember 2007 0:55

Seite f3r in Miniatur-DarstellungDie Seite f3r ist eine Seite des »pflanzenkundlichen« Teiles. Die dort seitenfüllend dargestellte »Pflanze« weist keine erkennbare Ähnlichkeit zu einer in der botanischen Wirklichkeit dieses Planeten wachsenden Pflanze auf. Dieser Schluss scheint zumindest berechtigt, wenn man das Scheitern aller fachkundigen Bemühung vor Augen hat, die Pflanzen des Voynich-Manuskriptes zu identifizieren.

Ist dies ein voreiliger Schluss? Könnte man etwa einen ähnlichen Schluss aus allen bislang gescheiterten Versuchen ziehen, den »Inhalt« des Manuskriptes zu »lesen«, nämlich den Schluss, dass das kollektive Scheitern vieler Geister ein überdeutliches Indiz dafür ist, dass es gar keinen »Inhalt« gibt? Und kann auf dem Hintergrund eines solchen Schlusses Gordon Rugg mit seiner Annahme, dass es sich beim »Text« um einen mit Hilfe von Matrizen und Schablonen angefertigten »Fake« handeln könnte, doch noch recht bekommen? Trotz aller Erscheinungen, die er mit seiner Methode nicht reproduzieren konnte?

Nun, die Lage ist bei den »Pflanzen« ist etwas anders. Während die Schrift beispiellos bleibt und keine leicht widerlegbaren Annahmen über Beschaffenheit und Inhalt zulässt, lassen sich die »Pflanzen« leicht mit ähnlichen Pflanzen in der Natur vergleichen. Denn was in den Zeichnungen dargestellt wird, das sollen unzweifelhaft Pflanzen sein. Die Annahme, dass es sich um wirkliche botanische Erscheinungen handelt, wird dabei in den meisten Fällen recht klar widerlegt. Das hier vielleicht im Text vorgestellte Kraut namens »tsheos« weist zwar eine Kombination vertrauter Merkmale auf, ist aber dennoch nicht identifizierbar.

Detailansicht der BlätterZunächst sollte man sich nicht von der Farbgebung irritieren lassen. Die insgesamt sehr nachlässige Ausführung der Kolorierung steht im Gegensatz zu den zwar schnellen, aber doch alles in allem sorgfältigen Zeichnungen, die der Autor mit einer Feder anfertigte. Diese Farben wurden vermutlich erst nachträglich, vielleicht im Zuge einer Restauration, hinzugefügt, sie gehören eher nicht zum Entwurf des Autors. (Aber selbst das ist nicht völlig sicher.) Damit gehört auch eine typische und sehr verwirrende Eigenschaft vieler »Pflanzen« und auch dieses besonderen »Pflanze« des Manuskriptes nicht zum ursprünglichen Entwurf, und das sind die alternierenden Farben der Blätter.

Der Stängel dieser PlfanzeWas hingegen zum Entwurf gehören dürfte, dass sind die Punkte in Tintenfarbe auf den Unterseiten der stark überlappenden Blätter. Sie sind das einzige Merkmal, das auf diesen Blättern neben der Blattform angedeutet ist, sie scheinen also im Gegensatz zu einer Äderung oder Behaarung wichtig und »auffällig« zu sein. Beim Betrachten drängt sich der Gedanke an Sporen auf, die dargestellte »Pflanze« ist also ein Nacktsamer. Diese Interpretation deckt sich gut mit der Tatsache, dass diese »Pflanze« ohne eine Blüte dargestellt wurde, während die Mehrzahl der »Pflanzen« im Manuskript blühend gezeichnet sind. Auch der mit einer Schraffur auf dem Stängel angedeutete Schatten mit der klaren, explizit nachgezogenen Begrenzungslinie gehört wohl zur ursprünglichen Absicht des Zeichners, er soll vielleicht einen kantigen Stängel andeuten, wie man ihn ja bei vielen Pflanzen finden kann.

Mit diesen Informationen sollte es doch durchaus möglich sein, Kandidaten für die Identifikation der Pflanze aufzufinden. Aber es gibt offenbar keinen Nacktsamer von solcher Gestalt. Denn jeder Versuch, diese enigmatischen »Pflanzen«-Zeichnungen zu identifizieren, ist gescheitert, obwohl ein großes Interesse an einer solchen Identifikation besteht. Es ist ja anzunehmen, dass diese »Pflanzen« einen Bezug zum »Text« der jeweiligen Seite haben könnten. Aber die »Pflanzen« erweisen sich als genau so fantastisch wie der »Text«, vielfach erwecken sie sogar den Eindruck, sie seien wie eine Kollage aus verschiedenen Elementen wirklicher Pflanzen zusammengesetzt.

Genau diese Beobachtung könnte aber auch eine Lösung des »Pflanzen«-Problemes sein. Hierzu nur eine erste, naheliegende Spekulation. Was wäre, wenn es im »Text« gar nicht um eine einzelne »Pflanze« geht, sondern um eine Zubereitung aus verschiedenen Pflanzen, sei es eine Rauschdroge, sei es eine Arznei? Könnte der Autor dann, um die Wirkung einer solchen Rezeptur aus verschiedenen Pflanzen zu illustrieren, eine synthetische »Pflanze« mit Merkmalen aller darin verwendeten Pflanzen ersonnen haben? Könnte der zugehörige »Text« so etwas besagen wie: Eine »Pflanze« (das meint in solchem Fall: eine Zubereitung aus pflanzlichen Bestandteilen), die aus der Wurzel von Kraut A, dem Stängel von Kraut B und den Blättern von Kraut C besteht, hat die folgenden Anwendungsfälle?

In diesem Fall wären auch die Zeichnungen »verschlüsselt«, und zwar auf eine recht wirkungsvolle Weise. Das Geheimwissen, das durch die Form der Niederschrift verborgen wurde, würde nicht leicht in den Illustrationen offenbar werden.

Leider sind diese »Pflanzen« nicht detailliert genug gezeichnet, als dass man die einzelnen Elemente ohne Kenntnis des »Textes« genau bestimmen könnte. Aber dennoch ist diese Spekulation ein Ausgangspunkt für eine mögliche Überprüfung, die den Gedanken wahrscheinlich rasch widerlegen wird. (Das geht mir immer so.) Bei der dargestellten Synthese der Illustrationen sollten gewisse Teile von einer Gruppe Pflanzen mit starker pharmazeutischer Wirkung häufiger verwendet werden; diese Teile könnte man zu identifizieren versuchen, um sie mit Mustern im »Text« der entsprechenden Seite abzugleichen. Wenn sich dabei zeigt, dass gewisse Textmuster regelmäßig oder doch nur häufig zusammen mit gewissen, ähnlich aussehenden Pflanzenteilen auftauchen, könnte diese Spekulation der Wirklichkeit des Manuskriptes nahe kommen. Vielleicht entsteht auf diese Weise sogar ein Ansatz, sich der Bedeutung des »Textes« anzunähern.

Ach, es gibt auch im neuen Jahr noch viele Aufgaben für den, der dieses Manuskript lesen möchte!

In diesem Sinne: Einen guten Rutsch in das neue Jahr.

Ach, eines noch: Ich bin mir völlig darüber bewusst, dass solche Kombinationen aus verschiedenen Elementen typisch für jene Form der unbewussten Verarbeitung ist, die bei jedem Menschen jede Nacht in Träumen manifest werden kann.

Thema: Seiten, Spekulation, Zeichnungen | Kommentare (2) | Autor:

f2v: Die Seerose im Glypensumpf

Freitag, 9. November 2007 4:13

Ein winziger Thumbnail zur Seite f2vDie »Pflanze« auf Seite f2v wird für eine lange Strecke von Seiten die letzte Pflanze im Manuskript sein, die an vertraute botanische Erscheinungen erinnert. Es ist eine dieser seltenen botanischen Illustrationen im Manuskript, bei der beinahe jedem Betrachter völlig klar ist, was das reale Vorbild für diese Zeichnung sein könnte.

Es handelt sich ganz zweifelsfrei um eine Wasserpflanze, die aber ohne Wasser dargestellt wird. Der lange, grüne Stängel, das große, typisch geformte Schwimmblatt, eine Wurzel, die in ihrer eigentümlichen Wuchsform wie gemacht dafür ist, im Schlamm Halt zu finden: Das alles wirkt sehr vertraut. Auch wenn die Form der Blüte nicht völlig passt, ist sie doch dem auf vielen Teichen zu findendem Vorbild so ähnlich, dass die Identifikation dieser »Pflanze« als Seerose gesichert scheint. Das ist im Gegensatz zu so vielen anderen Illustrationen im Voynich-Manuskript einmal nicht etwas, was aus einer »anderen Welt« zu stammen scheint.

Da wir annehmen dürfen, dass die ersten Wörter eines Absatzes den Namen der Pflanze beinhalten, könnten wir an dieser Seite also unser erstes Wort Voynichianisch lernen – leider ist es die im Alltag wenig hilfreiche Vokabel für eine Pflanze, die große Ähnlichkeiten zur uns vertrauten Seerose hat. Diese Vokabel lautet im schlimmsten Fall:

Ist kooiin-cheo-pchor das voynichianische Wort für Seerose?

Da die Entscheidung, ob ein Leerzeichen vorliegt, im Schriftfluss nicht immer eindeutig ist, habe ich an dieser Stelle für den Ausschnitt eine Passage gewählt, die von den meisten Transkriptoren als die drei Wörter kooiin cheo pchor »gelesen« wird, was durchaus auch eine Frage der Interpretation von Zwischenräumen ist. Doch gleich, ob hier ein Wort, zwei Wörter oder drei Wörter »gelesen« werden, das Wortmuster kooiin (von Curriers früher Studiengruppe und von Jorge Stolfi mit gutem Grund auch als kaoiin gelesen) ist im pflanzenkundlichen Teil eindeutig und damit ein guter Kandidat für den Namen der Seerose.

Die Blüte der SeeroseNun, diese Vokabelkenntnis ist nicht nur spekulativ und damit unsicher, sondern zudem auch kein so großer Fortschritt. Zumal wir uns bei dieser recht einfachen Angelegenheit bereits mitten im schwierigen Thema befinden, wie die im Manuskript erscheinende Glyphenfolge bei einer Transkription interpretiert werden soll – eine Frage, zu der es völlig verschiedene Meinungen gibt. Die Seerose führt uns also in den Glyphensumpf, in dem bislang alle Versuche untergegangen sind, die Mitteilungen eines unbekannten Schreibers aus dem Mittelalter zu lesen. Auch für umsichtige Wanderer, die nur etwas »kartographieren« wollen, ist das ein schwieriges Gelände.

Ich kann jedem frisch am Thema Interessierten zum Einstieg nur dringend empfehlen, die vorhandenen Transkriptionen zunächst zu ignorieren und sich stattdessen einen eigenen optischen Eindruck vom Manuskript zu verschaffen. Das bewahrt nachhaltig davor, den Transkriptionen blind zu vertrauen und schärft den Blick für die Ambiguität vieler Passagen dieses Manuskriptes. (Natürlich sind gute Transkriptionen unentbehrlich für eine computergestützte Analyse der Glyphenfolge. Eine recht bequeme Möglichkeit, interessierende Passagen aus gängigen Transkriptionen in den wichtigsten Formaten zu erhalten, findet sich im »Extractor« meines Voynich Information Browsers.)

Sieht man von den Glyphen nur eine Transkription, wie etwa die folgende Lesart der Seite f2v von Takeshi Takahashi, …

kooiin cheo pchor otaiin o dain chor dair shty
kcho kchy sho shol qotcho loeees qoty chor daiin 
otchy chor lshy chol chody chodain chcthy daiin
sho cholo cheor chodaiin 
kchor shy daiiin chckhoy s shey dor chol daiin 
dor chol chor chol keol chy chty daiin otchor chan 
daiin chotchey qoteeey chokeos chees chr cheaiin 
chokoishe chor cheol chol dolody

…so verliert man leider zu schnell aus dem Sinn, wie viele schwierige Entscheidungen bei der monotonen Tätigkeit des Transkribierens getroffen werden mussten – und wie häufig in solche Entscheidungen persönliche Annahmen einfließen. Es ist mir bei der Arbeit mit Transkriptionen mehrfach passiert, dass ich Muster »im Manuskript« erkannt zu haben glaubte, die nach einer Überprüfung eben so gut Muster in der Wahrnehmung des jeweilgen Transkriptors sein konnten. Stets ist jede derartige Erkenntnis an Hand einer zweiten, unabhängigen Transkription zu überprüfen, ein zusätzlicher Blick in das richtige Manuskript (in Form guter Abbildungen) ist immer empfehlenswert.

Was macht die Aufgabe der Transkription so schwierig? Die folgenden Anmerkungen schneiden nur die wichtigsten Themen an.

Interpretation von Leerzeichen

cheo p chor oder cheo pchor oder cheopchor?Das Thema habe ich ja bereits bei der Vorstellung des »Namens der Seerose« angeschnitten. Das Leerzeichen nach kooiin sieht relativ »sicher« aus, es ist ein größerer Abstand im Glyphenfluss. Aber schon die Frage, ob darauf cheo pchor oder cheo p chor oder auch cheopchor zu lesen ist, lässt sich nicht leicht entscheiden. Die p-Glyphe wirkt abgesetzt, sie hat auf beiden Seiten den gleichen Abstand. Dennoch lesen die meisten Transkriptoren hier cheo pchor.

Das liegt daran, dass eine p-Glyphe mit einer etwas über das Maß reichenden Höhe sehr häufig am Anfang eines neues Wortes steht, ihr geht in der Regel nur ein o oder qo voraus. Diese Beobachtung führt zur unbewussten Wahrnehmung dieses Musters, diese führt ihrerseits zu dieser Transkription. Da die o-Glyphe noch leicht mit dem Schriftfluss des che verbunden ist, wird sie als Bestandteil des vorhergehenden Wortes cheo gesehen.

Was hier transkribiert wurde, ist ein psychischer Prozess des Menschen, der die Transkription anfertigt und keine Eigenschaft des Manuskriptes. Wenn überhaupt, muss hier ein »unsicheres Leerzeichen« notiert werden. Solche unbewussten Mustererkennungen sind eine ganz gewöhnliche psychische Tätigkeit, wenn bewusst keine Information vorhanden ist; auf diesem psychischen Prozess beruht auch die Wahrnehmung von Sternbildern in der quasi-zufälligen Verteilung der Fixsterne am Firmament.

Schwer bestimmbare Glyphen

chor oder chos?Einige Glyphen lassen sich in Gruppen zusammenfassen, deren Vertreter sich sehr ähnlich sehen. So ist zum Beispiel die häufige s-Glyphe ein Bogen, an dem ein nach oben geschwungener Ausläufer angebracht wird, die ebenfalls sehr häufige r-Glyphe enthält den gleichen Schwung nach oben, allerdings von einem kurzen Strick als Grundfigur ausgehend.

Und manchmal scheint sich nicht einmal der Schreiber sicher gewesen zu sein, was er schreiben wollte. Das vorletzte Wort in der zweiten Zeile wird allgemein als chor transkribiert, obwohl das letzte Zeichen dieses Wortes den Eindruck macht, dass der Grundstrich einer r-Glyphe korrigiert wurde, indem einfach eine s-Glyphe darüber geschrieben wurde.

Auch hier wurde unbewusst ein Muster wahrgenommen. Die Wortendung auf -or ist wesentlich häufiger als die auf -os – und diese Wahrnehmung führte offenbar zur Entscheidung für die allgemein gewählte Lesart. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Entscheidung, die gar nicht sicher getroffen werden kann.

Solche Unbestimmtheiten sind übrigens auf der vorliegenden Seite f2v relativ dünn gesät, aber in den Seiten des astrologischen und kosmologischen Teils sehr häufig.

Das Werk vergangener Restaurationen

Viele dieser Unbestimmtheiten gehen auf einen Faktor zurück, zu dem man bei längerer Beschäftigung eine Hassliebe entwickelt. Es gab mindestens zwei Restaurationen des Manuskriptes, die uns einerseits den »Text« erhalten haben, die aber andererseits der Glyphenfolge einen großen Schaden zufügten, mit dem heute jeder Forscher leben muss. Ich bin mir sicher, dass der spätere Restaurator den Text nicht zu lesen wusste und nur die verblichenen Glyphen nachzeichnete – dabei produzierte er oft neue Glyphen, die große Rätsel aufgeben und schuf »Wörter«, die nicht in die üblichen Wortbilder passen. Zum Glück ist das Werk des späteren Restaurators oft dadurch kenntlich, dass er eine deutlich dunklere Tinte verwendete; zum Unglück hat dieser auch besonders häufig verschmierte und undeutliche Zeichen produziert.

Auch das ist eigentlich eher auf anderen Seiten auffällig, aber schon auf der an sich gut erhaltenen und klaren Seite f2v finden sich einige lehrreiche und typische Beispiele für Artefakte der Restauration.

Was wurde hier wirklich geschrieben? Jetzt liest man chokoishe...In der letzten Zeile der Seite findet sich das sehr untypisch geformte Wort chokoishe. Das Werk des Restaurators zeigt sich in der deutlich dunkleren Tinte beim Bestandteil ish, wobei die sh-Glyphe so stark verschmiert wurde, dass man nicht mehr entscheiden kann, ob der erste Bestandteil nicht vielleicht eine o-Glyphe oder – etwas unwahrscheinlicher – eine i-Glyphe gewesen sein könnte. Da o‹h und i‹h sehr selten sind, liest hier natürlich jeder sh, aber das ist eine dieser unbewussten Annahmen.

Die i-Glyphe zwischen o und sh ist in jedem Fall ungewöhnlich und löst bei meiner unbewussten Mustererkennung sofort den Verdacht aus, dass bei der Restauration eine beschädigte oder verblichene e-Glyphe falsch nachgezeichnet wurde. Auch das ist natürlich nur eine Annahme.

Was ist das für ein Text über kchor?Manchmal scheint der Restaurator recht willkürlich Dinge nachgezogen und damit sichtbar gemacht zu haben, die mit Sicherheit nicht zum ursprünglichen Manuskript gehören – das erweckt kein besonderes Vertrauen in seine Arbeit am eigentlichen Text. Beim Anblick dieser Hinzufügungen wird am ehesten klar, dass hier jemand an der Erhaltung der Glyphenfolge gearbeitet hat, der noch weniger Verständnis als ich vom Aufbau des Schriftsystems hatte und der deshalb gewiss nichts lesen konnte.

Das erste Wort des zweiten Absatzes ist klar als kchor lesbar, was auch kein besonders verdächtiges Wort ist. Aber die Tinte des Restaurators hat hier nicht nur ganz offenbar die Endung -or nachgezogen, sondern auch ein seltsames Artefakt über diesem Wort hinterlassen, dass ungefähr wie ein »fa« in lateinischen Buchstaben aussieht und keinen Bezug zum Schriftsystem des Voynich-Manuskriptes hat. Dieses Detail geht in allen Transkriptionen unter, es wird mit gutem Grund als Fremdkörper erkannt.

Aber wie viele Hinzufügungen des gleichen Restaurators haben schon Transkriptoren vor schwierige Entscheidungen gestellt? Auf den folgenden Seiten, vor allem später im astrologischen Teil, werden wir etliche Beispiele finden, in denen der ursprüngliche Text geradezu verstümmelt wurde.

Fürs erste verlassen wir den schlüpfrigen Glyphensumpf wieder. In der Hand halten wir eine Seerose, die vielleicht auf Voynichianisch kooiin heißt – mir wären ein paar Alltagsgegenstände lieber gewesen. Die gewonnene Erkenntnis ist, dass jede Transkription des Voynich-Manuskriptes ein Abbild ist, das unter großen Schwierigkeiten entstand.

Ich habe, als ich mit dem »verdammten Manuskript« anfing, zunächst Transkriptionen verwendet, um mir einen ersten Eindruck vom Text zu verschaffen. Das liegt daran, dass ich der Auffassung anhing, es handele sich um ein verschlüsseltes Manuskript, dessen Code durch Datenverarbeitung zu brechen wäre. Als Basis für eine Arbeit am Manuskript, die dem Glyphensumpf angemessen ist, erwiesen sich die Transkriptionen dabei in keiner Weise. Eine solche Arbeit muss auf wesentlich breiterer Wurzel fußen, wenn sie Halt finden soll…

Die breite Wurzel der Seerose aus dem Voynich-Manuskript

Thema: Seiten | Kommentare (0) | Autor:

Das Ziel der Seitenbeschreibungen

Freitag, 9. November 2007 4:12

In unregelmäßigen Abständen schreibe ich hier längere Texte zu einer einzelnen Seite des Vonyich-Manuskriptes.

Ich beschreibe die Seiten hier nicht, um eine Konkurrenz zu anderen Websites aufzubauen. Meine Beschreibungen versuchen auch nicht, alle Eigenheiten einer bestimmten Seite des Voynich-Manuskriptes vollständig und systematisch zu erfassen, was nach meinem Erachten für eine Einzelperson ohne spezielle Ausbildung auch gar nicht möglich ist.

Es geht mir in jeder meiner Beschreibungen um jeweils eine wichtige Anmerkung zu einer speziellen Eigenschaft des Manuskriptes. Diese Anmerkungen richten sich eher an Neulinge, und weniger an »alte Hasen«. Ein Neuling, der sich bereits aus anderer Quelle eine erste Übersicht über das Manuskript verschafft hat, soll in diesen Texten einen Eindruck von der Besonderheit des Voynich-Manuskriptes bekommen und erkennen, warum jede Arbeit an dieser Materie – auch jede über die rein kryptographische Herausforderung hinaus gehende Arbeit – von so einzigartiger Schwierigkeit und Faszination ist. Was ich dabei voraussetze, ist eine oberflächliche Vertrautheit mit dem Aufbau des Manuskriptes und mit dem Transkriptionsalphabet EVA.

Viele schwierige Themen werden in diesen Texten nur gestreift, aber doch schon so, dass die Schwierigkeiten für einen Leser auch fühlbar werden. Ich scheue dabei auch nicht die Auseinandersetzung mit esoterischen, psychologischen oder künstlerischen Themen, ohne mich auf diesen Themenkreis zu beschränken. (Ich glaube übrigens, dass das Manuskript einen esoterisch orientierten Inhalt hat.) Da sich die Präsentation aller Themen dabei zunächst an so etwas Fassbarem wie einer einzelnen Seite des Manuskriptes festmacht, wird auch abstraktem Stoff seine zunächst abschreckende Schwierigkeit genommen und ein bequemer Einstieg für eine tiefer gehende Beschäftigung gefunden.

Das gilt natürlich auch für mich. ;-) Es ist nicht immer leicht, über etwas zu schreiben, das sich seit langer Zeit jedem Verständnis entzieht.

Wenn diese Texte einen Beitrag dazu leisten, dass Spekulationen und vorschnell veröffentlichte »Ergebnisse« oder gar »Übersetzungen« krtisch bewertet werden können, freut mich das. Wenn einigen windigen Geschäftemachern das Geschäft mit der Unwissenheit gründlich versalzen wird, ist meine Freude sogar noch ein bisschen größer. Aber am meisten freut es mich immer noch, wenn sich Menschen für dieses große, ungelöste Rätsel zu interessieren beginnen und ebenfalls mit ihren verfügbaren Mitteln nach einer Lösung suchen – auch wenn ich als »ausgelernter Optimist« davon ausgehe, dass ein lesbarer Text des Manuskriptes wesentlich uninteressanter als der Weg zur Lesbarkeit sein wird.

Ich habe keine Angst, dass mir der Stoff zum Schreiben ausgeht. Wenn jede Seite einen Text hat, der auf eine einzige einmalige Eigenschaft des Voynich-Manuskriptes eingeht, werden immer noch genügend wichtige Themen übrig sein, die keine Erwähnung gefunden haben. Das »Schlimmste«, was mir passieren kann, ist, dass jemand das Buch einfach liest, bevor ich mit allen Seiten durch bin. Und das fände ich wirklich wünschenswert.

Und ansonsten gilt natürlich: kooiin cheo pchor otaiin o dain chor dair shty (f2v.P.1) ;-)

Thema: Kommunikation, Seiten | Kommentare (3) | Autor:

f2r: Eine Pflanze namens kydainy

Donnerstag, 8. November 2007 0:19

Miniaturdarstellung der Seite f2rZugegeben, dieser »Pflanzenname« auf der Seite f2r ist in gewisser Weise ein Witz, aber keiner der billigen und schlechten Sorte. Es weiß zwar niemand, wie die »Pflanzen« des Voynich-Manuskriptes heißen, aber Jorge Stolfi hat vor ungefähr zehn Jahren eine ausgesprochen interessante Entdeckung an den »Texten« des »pflanzenkundlichen Teils« gemacht.

Bei seiner Entdeckung aus dem Jahr 1998 ging Jorge Stolfi von der offenbaren Tatsache aus, dass jede dieser Seiten genau eine »Pflanze« darstellt. Wenn es einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen dem »Text« und den Darstellungen einer solchen Seite gibt, denn könnte es ja durchaus möglich sein, dass der Name dieser »Pflanze« im Text auftaucht. Diese Annahme setzt allerdings voraus, dass es sich nicht um einen stark verschlüsselten Text, sondern um eine mehr oder minder direkte Notation natürlicher Sprache handelt. Aber die Annahme lässt sich leicht mit Hilfe eines Computers überprüfen, wenn man eine Transkription vorliegen hat – es reicht aus, nach »Wörtern« zu suchen, die einmalig nur auf diesen Seiten erscheinen.

Ganz so einfach ist es allerdings doch nicht. Viele Voynich-Glyphen sehen sich sehr ähnlich, das Transkribieren ist eine fehlerträchtige Tätigkeit und alle Transkriptionen sind umstritten. Deshalb wurde die Untersuchung nicht an einer rohen EVA-Transkription vorgenommen, vielmehr wurde der Text der Transkription so bearbeitet, dass ähnliche Glyphen so in identischen lateinischen Buchstaben zusammengefasst werden, dass häufige Transkriptionsfehler keine Rolle für das Ergebnis spielen. Darüber hinaus sind die Leerzeichen unsicher in der Deutung und die q-Glyphe wird wegen ihres regelmäßigen Auftretens am Wortanfang für eine »grammatikalische« Erscheinung gehalten. Die vorgenommene Transformation sieht im Einzelnen so aus:

  1. Lösche jedes q am Beginn eines Wortes
  2. Ersetze jedes t durch ein k
  3. Ersetze jedes f durch ein p
  4. Ersetze jedes y am Wortanfang durch ein o
  5. Ersetze jedes a oder o am Wortende durch ein y
  6. Ersetze jedes ee durch ein ch
  7. Ignoriere alle Leerzeichen für die Analyse

Es ist klar, dass durch diese Transformation Information aus dem »Text« zerstört wurde. Da im Manuskript viele ähnliche Wörter auftreten, wäre ein eindeutiges Ergebnis trotz dieser Transformation schon ein recht sicheres Indiz.

Jorge Stolfi kam zu einem recht eindeutigen Ergebnis (die Übel-Setzung ins Deutsche ist von mir):

Es hat sich herausgestellt, dass das erste Wort jeder Seite beinahe immer seiten-spezifisch ist. Ich betrachte diese Tatsache als ein Zeichen dafür, dass wir es als Regel betrachten können, dass das erste Wort der Seite der Name der Pflanze ist. Darüber hinaus scheinen die meisten Abweichungen von dieser Regel darin bedingt zu sein, dass ein Wort durch ein fragliches Leerzeichen umbrochen wurde. In diesen Fällen können wir gewöhnlich ein seiten-spezifisches Wort erhalten, wenn wir die ersten zwei oder drei Wörter der Seite zusammenfügen.

Kydainy - der Name der Pflanze?So auch das Wort kydainy, dieses völlig »unverdächtig« aussehende erste Wort der Seite f2r. Die beschriebene Transformation verwandelt dieses »Wort« in »kydaino«, und dieses Muster kommt im gesamten pflanzenkundlichen Teil des Voynich-Manuskriptes nicht noch einmal vor – trotz einer Transformation, die ähnlich gebaute »Wörter« aufgefunden hätte. Das ist – alles in allem – ein eher unerwartetes und verwirrendes Ergebnis einer recht einfachen Untersuchung, das die These stützt, dass es sich beim »Text« des Manuskriptes um eine direkt notierte Sprache handeln könnte.

Kydain, das erste Wort des zweiten Absatzes dieser Seite. Ist das nur eine grammatikalische Erscheinung?Interessanterweise enthält die Seite f2r zwei Absätze, und der zweite Absatz beginnt mit der sehr ähnlichen Glyphenfolge kydain – da fehlt nur die y-Endung. Auch dieses »Wort« ist im gesamten Manuskript eindeutig, so dass der Verdacht sehr nahe liegt, dass gewisse Endungen eine »grammatikalische« Erscheinung sind. Aber das ist ein völlig anderes Thema, das hier einmal ausführlich gewürdigt werden wird.

Die Blüte der Pflanze erinnert entfernt an eine KornblumeDass man einen mutmaßlichen Namen der Pflanze angeben kann, hilft leider nicht beim Lesen des Manuskriptes. Denn diese »Pflanze« ist nicht identifizierbar. Dies gilt für alle Pflanzen der Manuskriptes, so dass die von Jorge Stolfi gefundene Eigenschaft nicht beim Lesen des Textes hilfreich ist.

Die Blüte dieser Pflanze erinnert recht deutlich an eine Kornblume (centaurea cyanus), wenn auch die typische blaue Farbe fehlt. Dies führte Petersen dazu, diese Seite informell als »Cornflower« zu bezeichnen. Leider ist die Blattform völlig falsch, und die rötlichen Strukturen auf dem Stängel widersetzen sich ebenfalls der Deutung der Pflanze als Kornblume.

Die Wurzel dieser PflanzeSehr eigentümlich ist die gezeichnete Form der Wurzel.

Sie sieht – wenn man sie isoliert betrachtet – gar nicht wie eine Wurzel aus, sondern macht den Eindruck, als wenn sie ebenfalls aus Schriftzeichen bestände. Diese »Wurzelschrift« ist allerdings ebenfalls unlesbar, so dass hier unklar bleibt, ob man einem Wahrnehmungsfehler aufgesessen ist oder ob man eine wirkliche Eigenschaft der Illustration sieht. Vielleicht sollte ich es einmal mit einer Zubereitung wirklicher Kornblumen probieren, diese dient unter anderem zur Behandlung der Augen durch Waschungen…

Da viele Pflanzen nichts mit Produkten der irdischen Evolution zu tun haben, lohnt es sich, immer einen offenen Geist für andere Deutungen gewisser enigmatische Elemente in diesen Pflanzen zu haben. Wenn man dabei nur nicht so leicht in haltlose Spekulationen käme… ;-)

Thema: Ergebnisse, Seiten | Kommentare (2) | Autor: