Die hohe Redundanz

Es gibt eine Tatsache, die darauf hindeuten könnte, dass das Voynich-Manuskript eben doch »sinnloses Gestammel« und damit ein »Fake« ist. Diese Tatsache ist die hohe Redundanz des Textes, die weder zu einer menschlichen Sprache noch zu einem Code passen will. (Sie würde sehr wohl zu einer musikalischen Notation passen.)

Dieses hohe Maß an Redundanz – oder anders ausgedrückt: dieses geringe Maß in Information in der Glyphenfolge, diese Neigung zu repetitiven Passagen in den »Wörtern« – muss eine Erklärung finden.  Von allen seltsamen Eigenschaften des Manuskriptes ist es wohl diejenige, die am schwierigsten zu verstehen ist. Das Schreibmaterial ist ja nicht billig gewesen, so dass Sparsamkeit in der belegten Pergamentfläche auch ein wirtschaftlicher Vorteil gewesen wäre; und der zeitliche und psychische Aufwand bei der Anfertigung einer Handschrift würde eher zu einem System von Abkürzungen drängen. Beides würde nahelegen, dass mit einem verhältnismäßig geringem Maß an Redundanz geschrieben wird. In der gebieterischen Wirklichkeit des Manuskriptes ist jedoch das genaue Gegenteil der Fall.

Es ist dies ein Rätsel im Rätsel, das bislang jeder Erklärung trotzt. Dennoch verweist es direkt auf den Kern des Problemes, der Glyphenfolge des Manuskriptes eine Bedeutung zuzuordnen. Beim Mitlesen der englischen Mailingliste – ich nehme daran eher passiv teil und versuche, nur jenes Neue, Bedeutende und Weiterführende dort bekannt zu machen, das sich leider nicht jeden Tag findet – habe ich den Eindruck, dass die Redundanz im Manuskripte von beinahe allen aktiven Forschern ignoriert wird, wenn sie ihre Hypothesen bilden.

Tatsächlich gibt es nur genau drei Möglichkeiten, wie es zu der hohen Redundanz kommen konnte, wenn man nicht von einer »Fälschung« ausgeht:

Der Code (oder die Sprache) ist so redundant – Wenn diese Hypothese zutrifft, muss man sich auf eine verhältnismäßig kurze Gesamtnachricht des Manuskriptes einstellen. Eine Seite des Manuskriptes vermittelt denn vermutlich nur eine einzige Bedeutungseinheit, die den ungefähren Inhalt eines Satzes hat. Die große Weitschweifigkeit wurde bewusst eingesetzt, um einen relativ kurzen oder zu seiner Zeit gesellschaftlich brisanten Inhalt so zu verbergen, dass alle Ansätze des Lesens durch einen Nicht-Eingeweihten scheitern müssen. Und das ist dem Code bis heute gelungen, bis ins Zeitalter der computergestützten Kryptanalyse.

Die Redundanz ist nur eine scheinbare – Wenn man hochauflösende Bilder des Manuskriptes betrachtet, fallen einem schnell gewisse Variationen in bestimmten Glyphen auf. Die bislang üblichen Transkriptionen haben diese Variationen unter einem Code zusammengefasst. Was sich etwa in EVA als sh transkribiert, ist eine durchaus große Fülle von Abweichungen des Bogens über den beiden verbundenen e-Glypen, und auch die e-Glyphen selbst entsprechen nicht immer der Standardform. Die Frage, ob sich eine geringere Redundanz zeigt, wenn solche scheinbaren Kleinigkeiten in Betracht gezogen werden, ist durchaus einer ernsthaften Untersuchung würdig. Allerdings würden die Chancen auf eine Entzifferung sehr sinken, wenn sich die Subtilitäten des Schriftbildes als bedeutungstragend erweisen sollten. Der Erhaltungszustand des Manuskriptes ist doch eher bescheiden, es lassen sich die Spuren von mindestens zwei Restaurationen erkennen, von denen mindestens eine offenbar ohne Kenntnis des Schriftsystemes beim Restaurator durchgeführt wurde. Dabei wäre dann gewiss auch Information verloren gegangen. Das Scheitern der heutigen Leseversuche spiegelt den Informationsverlust in der Vergangenheit wider, und ohne großen Aufwand in der physikalischen Untersuchung des Manuskriptes werden die verlorenen Informationen wohl nicht mehr ans Licht kommen.

Es handelt sich nicht um eine Notation gewöhnlicher Sprache – Eine musikalische Notation (immer noch eine meiner Lieblingshypothesen, für deren Beleg ich bislang viel zu wenig getan habe) könnte durchaus eine hohe Redundanz aufweisen. Sie würde auch die leicht beobachtbaren Harmonieregeln bei der Bildung der »Wörter« ein wenig erklären, ebenso wie auch das Scheitern des bisherigen Ansätze zur Entzifferung verständlich würde. Unerklärt blieben hierbei allerdings die Bedeutung der »Labels« zu Illustrationen im Manuskripte und der Bezug der Illustrationen zu einem dann bestehenden musikalischen Kontext.

Tatsächlich denke ich jedes Mal, wenn ich etwas mit hoher Redundanz sehe, sofort an das Voynich-Manuskript. Allerdings gibt es »Mitteilungen« vergleichbarer Redundanz beinahe nur in gewissen Formen der Spam; dort wird des Öfteren mit Hilfe von Software so genannte »Spamprosa« aus anderen Texten im Internet erzeugt, um die Filterung der Inhalte durch Spamfilter auszutricksen. So viel dürfte allerdings gesichert sein: Weder hatte der Autor des Manuskriptes einen Computer zur Verfügung, noch hatte er die Absicht, Spam hinter Pseudomitteilungen zu verstecken.

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Datum: Mittwoch, 30. Juli 2008 22:42
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