f1r: Die erste Seite

Die erste Seite des Manuskriptes (f1r) verrät dem unbedarften »Leser« noch nicht, welche Überraschungen in diesem Buch noch auf ihn warten. Sie zeigt keine »außerirdischen« Pflanzen und keine unverständlichen Illustrationen in einzigartiger Formensprache, sondern nur unverständlichen Text. Sie verrät aber eine Tatsache recht deutlich: Das Manuskript hatte für längere Zeit nicht den heutigen Einband, die erste und die letzte Seite sind dementsprrechend stark »mitgenommen«. Auf der ersten Seite, die einst eine Umschlagsseite war, ist das Pergament dünn und löcherig, die Tinte beschädigt, die Glyphen sind teilweise nur noch mit Mühe zu erkennen. Nur wenige andere Seiten machen bei der Transkription so viel Mühe, diese finden sich vor allem im »astrologischen Teil«.

Auf der ersten Seite gibt es nur »Text«. Ein »Text«, der nicht lesbar ist, aber dennoch durch seine Struktur den Eindruck vermittelt, dass er eine Botschaft beinhaltet. Diesen »Text« findet man im gesamten Manuskript, und er ist nirgends verständlich.

Dennoch gibt es etwas über die erste Seite in diesem »Buch mit sieben Siegeln« zu sagen. Etwas, was über die Aufzählung der bekannten Fakten hinausgeht, etwa über die Angabe, dass es dort vier durch größeren Zwischenraum getrennte Absätze gibt, die jeweils durch ein abgesetztes, rechtsbündiges »Wort«, einen so genannten »Titel« beendet werden.

Denn die erste Seite enthält Spuren früheren Scheiterns beim Versuch, dem Manuskript seine Botschaft zu entreißen. Am rechten Rand der Seite befindet sich eine verblichene Notiz in lateinischen Buchstaben, die heute nur noch unvollständig zu lesen ist. Es ist gut möglich, dass der Autor dieser Notiz noch selbst versucht hat, die Spuren seines Scheiterns vom Pergament zu kratzen, es kann aber auch der Zahn der Zeit gewesen sein, der diese Spur früherer, erfolgloser Geistestätigkeit verwischt hat.

Es handelt sich um drei Spalten mit Buchstaben, denen jeweils Glyphen des Manuskriptes gegenüber gestellt wurden. Schon bei einem ganz frühen Versuch der Entzifferung hat offenbar ein uns unbekannter Forscher angenommen, dass hier eine relativ einfache, für das Mittelalter zu erwartende Ersetzung von Buchstaben durch andere Zeichen vorliegt, eventuell durch Nullzeichen und Abkürzungen ergänzt. Der Versuch, hier eine Zuordnung zu machen – für einen Kryptologen selbst der frühen Neuzeit eigentlich ein Kinderspiel, da nur Zeichenhäufigkeiten ermittelt werden müssen – ist aber gründlich gescheitert.

Wir wissen heute ganz genau, dass es sich um eine Sackgasse gehandelt hat. Die Botschaft des Manuskriptes ist kein einfacher Code. Dass wir von dieser Sackgasse wissen, heißt aber leider nicht, dass wir es besser könnten. Wenigstens schreibt heute niemand mehr seine Notizen zu seinen Annahmen direkt in das Manuskript hinein, sonst wäre die ursprüngliche Glyphenfolge längst von den Spuren hunderter gescheiterter Herangehensweisen überdeckt und gar nicht mehr lesbar…

Aus einem ähnlichen Ursprung mag der fast unsichtbare Text kommen, der sich in guten Reproduktionen noch an der oberen Kante erahnen lässt.

Tatsächlich hat diese Seite, die auf dem ersten Blick nur aus Text zu bestehen scheint, auch ein paar Illustrationen. Es handelt sich um zwei große Symbole, die vom üblichen Glyphenvorrat des Manuskriptes deutlich abweichen und überdem, als sollten sie noch besonders betont werden, in einer leuchtend roten Farbe ausgemalt sind. Solche Symbole finden sich an keiner anderen Stelle des Manuskriptes wieder. (Rote Farbe schon, aber auch nur einmal.) Sie wirken ähnlich wie auf den Kopf gestellte chinesische Logogramme, was aber leider auch eine Sackgasse ist – der Ursprung des Manuskriptes liegt eindeutig in Europa.

Wenn man in die hochauflösenden Bilder schaut, findet man noch eine dritte derartige Zeichnung in der rechten oberen Ecke. Diese ist zwar etwas komplizierter aufgebaut als »der Vogel« und »das dampfende Gefäß« zum Beginn des zweiten und dritten »Absatzes«, aber gibt ebenfalls keinen Aufschluss über ihre Bedeutung. Leider ist diese Zeichnung durch den Verschleiß des Pergamentes und der Tinte besonders unkenntlich geworden, so dass kein sicherer Abgleich mit chinesischen Logogrammen möglich ist.

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Datum: Freitag, 14. September 2007 2:19
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2 Kommentare

  1. 1

    »… der Ursprung des Manuskriptes liegt eindeutig in Europa.«

    Was nicht unbedingt heißen muß, daß es in Europa geschrieben wurde. Ein Europäer hätte es z.Bsp. in Asien schreiben können (ala Marco Polo). Der »Ursprung« muß also kein geographischer sein.
    Es könnte aber auch umgekehrt in Europa geschrieben worden sein, jedoch von einem Asiaten (ala Zweiblum. Kleiner Scherz für Pterry-Insider.) oder Afrikaner, der seine Eindrücke vom »Abendland« darlegt. »Ursprung« meint also auch nicht die Herkunft des Autors.
    Ich schätze, mit »Ursprung« willst Du eigentlich sagen: der »Inhalt«. Zu neudeutsch: content. Oder zumindest derjenige offensichtliche Inhalt, der die »Trägerwelle« für ein noch nicht dechiffriertes Signal bildet. 😉

    Ich finde übrigens, daß die MrSID-Datei das rote Zeichen oben in der Ecke gut genug darstellt, um die ursprünglichen Konturen nachvollziehen zu können. Vorausgesetzt, da war nicht auch irgendein »Restaurator« am Werk …

  2. 2

    >Wenn man in die hochauflösenden Bilder schaut, findet man noch eine dritte derartige Zeichnung in der rechten oberen Ecke.

    Ich halte dies für ein -durch Verdrehung schwach verschlüsseltes- OM:
    http://voynich-ms.de/wiki/F1r

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