VBI: Der Voynich-Bullshit-Index

Dies ist eine einfache Checkliste, mit der möglicherweise revolutionäre Theorien über den Autor, den Ursprung, den Hintergrund, die  Sprache oder die Bedeutung des Voynich-Manuskriptes bewertet werden können. Die erreichte Punktzahl, der VBI, ist positiv korrelliert mit dem Bullshit-Anteil in der jeweiligen Theorie.

Was ist ihr VBI?

10 Punkte – als Startkapital für jeden, der sich aus völlig unverständlichen Gründen für länger als eine Woche mit diesem »verdammten Manuskript« befasst.

2 weitere Punkte für jedes weitere Jahr, das man sich trotz der offenbaren Aussichtslosigkeit dieser Anstrengung weiter mit dem Versuch befasst hat, das Voynich-Manuskript zu lesen.

3 Punkte für jede historische Aussage in der Theorie, die den wenigen bekannten und gesicherten Tatsachen offen widerspricht.

3 Punkte für jede Aussage in der Theorie, die offensichtlich unwiderlegbar ist und deshalb niemals überprüft werden kann.

3 Punkte für jede nach Augenschein identifizierte Pflanze, Nymphe oder Sternkonstellation in den Illustrationen, die zum Bestandteil der Theorie geworden ist.

3 Punkte für jede Annahme über den Autor, die auf Ähnlichkeiten seiner Handschrift mit den Glyphen im Voynich-Manuskript begründet wird.

4 Punkte für die Auffassung, dass das Manuskript selbst einen geeigneten Schlüssel zur Entzifferung enthält.

4 Punkte für jeden Versuch, aus jenen Ergebnissen von Wort- und Glyphenzählungen, die sich knapp oberhalb der statistischen Signifikanz befinden, weitreichende Schlüsse abzuleiten.

5 Punkte für jeden inneren Widerspruch in der Theorie.

5 Punkte für jede Annahme über eine nirgends anders belegte exotische Technik, Religion, Wissenschaft, Esoterik oder besondere Kultur der Drogenbenutzung im Mittelalter als Hintergrund des Manuskriptes in die Theorie eingeführt wird.

8 Punkte für jeden Bezug auf ausgestorbene europäische Sprachen, die keine umfangreichen schriftlichen Zeugen hinterlassen haben.

8 Punkte für jeden Verweis auf eine europäische Religion, Kultur oder Landsmanschaft, die in der Geschichte Europas keine andere Spur als dieses eine Manuskript hinterlassen haben soll.

8 Punkte für jeden Versuch, die Glyphenfolge als direkt niedergeschriebene Sprache zu deuten, ohne dabei die Strukturen innerhalb eines Wortes, einer Zeile und innerhalb der meisten Seiten zu berücksichtigen.

9 Punkte für jede Identifikation eines Ortes oder Bauwerkes auf der Seite f85v2.

9 weitere Punkte für die Aussage, dass man selbst schon dort gewesen sei und sich mit eigenen Augen davon überzeugt habe, dass wirklich dieser Ort oder dieses Bauwerk gezeichnet wurde.

10 Punkte für jedes Verschweigen halbwegs gesicherter Strukturen in der eigenen Theorie, insbesondere das Verschweigen der Unterschiede zwischen den Currier-Sprachen, der hohen Redundanz der Glyphenfolge in den gängigen Transskriptionen oder der Häufung ähnlich geformter »Wörter« an bestimmten Stellen.

10 Punkte für jeden Bezug auf die Alchimie, obwohl keine einzige übliche grafische Metapher der Alchimie im Manuskript auftaucht. Das gleiche gilt für die Freimaurerei.

12 Punkte für jeden Versuch, eine offensichtlich nicht direkt notierte Sprache mit Methoden der Sprachwissenschaft zu deuten.

12 weitere Punkte für jeden Versuch, eine offensichtlich nicht direkt notierte Sprache mit den Methoden der Sprachwissenschaft zu deuten, wenn die eigene wissenschaftliche Ausbildung keine Nähe zur Sprachwissenschaft aufweist.

13 Punkte für jeden Versuch, das alte Pergament zu falten – nicht, um einen erfreulich konkreten Papierflieger daraus zu basteln, sondern um es auf diese Weise besser lesen zu können.

13 weitere Punkte, wenn man dabei in den Gallows keine Zeichen, sondern eine Art von Piktogrammen sieht, die angeben sollen, in welcher Weise das Papier gefaltet werden muss, wenn man aber dennoch nicht zu sagen vermag, wie diese Verschlüsselung ohne Faltung des Pergamentes durchgeführt werden konnte und wieso sie die sehr rätselhaften Strukturen der Glyphenfolge erzeugte.

15 Punkte für jede Annahme einer nicht-europäischen Sprache bei gleichzeitigem Ignorieren des europäischen Stiles aller Illustrationen und der Nähe des Schriftbildes zu europäischen Kursiven der frühen Neuzeit.

20 Punkte für jede Annahme einer unnötig aufwändigen Verschlüsselung, die mehr als drei Zwischenschritte auf dem Weg vom Klartext zur verschlüsselten Nachricht erfordert. Die gleiche Anzahl Punkte für die Annahme von Hilfsmitteln, deren Herstellung aufwändiger als das Niederschreiben des Manuskriptes gewesen wäre.

23 Punkte für jede Legende, die wörtlich verstanden wird und in genau diesem Verständnis als historische Tatsache angenommen und zur Grundlage der Theorie gemacht wird. Das gilt auch für biblische Überlieferung.

23 weitere Punkte für jeden Bezug auf Atlantis, Troja, Ägypten, Hesekiel, Nostradamus, die Bundeslade oder die Fernsehserie Star Trek.

23 goldene Zusatzpunkte, wenn als Quelle dieser Bezüge die Bücher eines Erich von Däniken angegeben werden.

25 Punkte, wenn die Merkmale, auf die sich die Theorie stützt, nur bei starker Vergrößerung des Manuskriptes sichtbar werden.

25 Punkte für jede Annahme eines Codes, der so mehrdeutig ist, dass man beim »Entschlüsseln« fast alles in die Glyphenfolge hineinlesen kann.

30 Punkte für das völlig unwiderlegbare Postulat, dass es sich um eine mit hohem Aufwand konstruierte, sinnlose Zeichenfolge handelt und dass daher jede weitere Beschäftigung mit dem Manuskript sinnlos ist.

30 weitere Punkte, wenn dieses unwiderlegbare Postulat als Wissenschaft ausgegeben wird, ohne dass eine angeblich gefundene Methode zur Erzeugung einer größeren Menge Voynich-artigen Textes offen gelegt wird, damit dann ein solcher Text mit dem realen Manuskript verglichen werden kann.

30 goldene Zusatzpunkte, wenn man es damit in den Scientific American schafft.

35 Punkte für die direkt oder indirekt geäußerte Auffassung, dass eine Theorie allein deshalb wahr sein muss, weil sie von ihren Kritikern nicht widerlegt werden kann.

40 Punkte für jeden Bezug auf UFOs, Außerirdische, Geistwesen, spiritistische Praktiken oder eine hohle Erde.

45 Punkte, wenn sich die Theorie zum Voynich-Manuskript mit einer Vermarktung »alternativer Heilmethoden« oder kostspieligen Kursen zur Erlangung spiritueller Fähigkeiten verbindet.

50 Punkte, wenn jemand das Manuskript auf Anhieb und ohne jede Analyse oder sonstige Mühe lesen kann, aber dennoch niemandem lehren kann, es ebenfalls zu lesen, und dieses so, dass dabei ein einigermaßen konsistenter Text entsteht.

50 weitere Punkte, wenn sich diese besondere Lesefähigkeit mit einer aufdringlichen Nähe zu neofaschistischen Ideologien verbindet.

50 goldene Zusatzpunkte für den Versuch, mit dieser Lesefähigkeit ein »Sachbuch« verlegt und verkauft zu bekommen.

80 Punkte für die Behauptung, dass man das Voynich-Manuskript deshalb so leicht lesen könne, weil man es in seinem früheren Leben selbst geschrieben habe.

90 zusätzliche Punkte, wenn man in diesem früheren Leben Leonardo da Vinci, Johannes Kepler, Karl der Große, der Profet Mohammed oder Jesus Christus war.

Und 100 goldene Zusatzpunkte, wenn man dafür nicht einmal mehr die Erklärung der Reinkarnation benötigt…  😉

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Datum: Sonntag, 5. Juli 2009 18:58
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7 Kommentare

  1. 1

    Hi Elias,

    Hilarious stuff! 🙂

    Obviously I need to try harder to raise my own VBI, my theory is plainly not competitive enough as compared with my peers. 😉

    Cheers, ….Nick Pelling….

  2. 2

    Wunderbar, Elias! So, 125 points for Rugg and 235 points for Papke and Weydemann? I think P&W deserve even more. Trying to make money should earn a gold medal. 🙂

    Isn’t there a good German word for ›Bullshit‹? ›Quatsch‹ plainly isn’t strong enough. Even so, I‹m glad you did it this way, so we Anglo-Saxons can enjoy it too!

    It would be fun if you could set this up with a real quiz form. I think you could do this with PollDaddy.

    Cheers, Dennis

  3. 3

    No, there is simply no good, strong and common german word for »bullshit«, and most Germans today simply say »bullshit«…

    In this context, a more formal german word would be »Pseuodowissenschaft«, which is »pseudo science« in English.

  4. 4

    […] is the english I speak and write, and it is kind of sick. But it is not as sick as the version of my german post translated by Google automatically so many readers red. English isn’t an international […]

  5. 5

    […] »Klowand des Internet«. Dennoch kommt manchmal eine Spur Humor auf, wenn ich etwa ein Bewertungssystem für den Bullshit-Anteil einer Theorie gebe. Und weil das Voynich-Manuskript nicht gerade ein in Deutschland bekanntes Thema ist, erwarte […]

  6. 6

    […] Schwerdtfeger has posted a new meta-theoretical analysis tool to his blog, called VBI – short for the “Voynich Bullshit Index“. By carefully testing your pet Voynich […]

  7. 7

    Hmm..also die Idee mit den Anagrammen finde ich gar nicht schlecht, und ich bin durchaus nicht der Meinung, dass die Verschlüsselung des Textes als Anagramme zu schwierig für den Autor gewesen wäre, wenn er sich bei der Anagrammbildung in Bezug auf die Umstellung der Reihenfolge von Buchstaben, Wörtern und Satzteilen an gewisse Regeln gehalten hätte. Eine Rückübersetzung wäre so recht einfach zu vollziehen. Die wahrnehmbare innere ›’seriell'‹ anmutende Struktur der VM Wörter mag auf etwas Anagrammartiges hindeuten. Ich werde diesen Gedanken sicher weiterverfolgen. Übrigens: das Angramm von oben konnte ich in etwas mehr als 5 Minuten lösen: Das Manuskript bleibt fuer immer unlesbar. Alle Muehe ist wirklich umsonst und der fall ist hoffnungslos. Das ist keine schoene Vorstellung fuer mich.

    So schwierig war es also nicht.. 🙂

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