Ernsthafte Voynich-Probleme

Es ist ein ernsthaftes Problem für jede Theorie (nicht nur im Zusammenhange mit dem Voynich-Manuskript), wenn alle Belege für diese Theorie von eher indirekter Natur sind. Sicher, es gibt Gegenstände in der menschlichen Geistesbetätigung, bei denen jeder Beleg naturgemäß indirekt ist, wie etwa in der Erforschung der Geschichte, in welcher uns nur die indirekten Auswirkungen der Vergangenheit auf die Gegenwart vorliegen. Das Voynich-Manuskript liegt uns jedoch in materieller und gegenwärtiger Form vor, alle Eigenschaften der darin niedergeschriebenen Glyphenfolge sind einer direkten Untersuchung zugänglich. Dank des Internet sind diese Eigenschaften einer großen Anzahl von Menschen seit mehreren Jahren frei zugänglich. Trotz dieses sehr günstigen Umstandes ist es ein Problem sämtlicher gegenwärtiger Theorien zum Voynich-Manuskript, dass sie auch nach längerer Untersuchung ausschließlich indirekt belegt sind. Dieses Problem ist ein Hinweis darauf, dass etwas mit den Theorien nicht stimmen kann; und dieser Hinweis wird mit zunehmender Dauer der Untersuchung deutlicher.Wenn eine dieser Theorien wirkliche Eigenschaften des Manuskriptes beschreibt, denn sollte es relativ »einfach« sein, Untersuchungen anzustellen, die in direkter Weise die theoretisch postulierte Beschaffenheit des Manuskriptes aufzeigen – oder im Scheitern eines solchen positiven Fortschrittes einen Hinweis auf die Schwächen der Theorie geben und auf diese Weise zum Fortschritt der Erkenntnis führen. Ein derartiger Prozess lässt sich nach etlichen Jahrzehnten nicht beobachten, obwohl eine beachtliche vereinigte Geisteskraft sich am Manuskripte abgearbeitet hat und immer noch abarbeitet.

Es ist ebenfalls ein ernsthaftes Problem für jede Theorie (nicht nur im Zusammenhange mit dem Voynich-Manuskript), wenn sie nicht im Verlaufe ihrer Überprüfung zu einer fortschreitenden Vertiefung der Einsichten in den betrachteten Gegenstand führt. Ein solcher Prozess, der dem Lesen der unverstandenen Textes vorausgehen müsste,  ist bei allen bisherigen Theorien zum Voynich-Manuskript nicht zu beobachten. Das angesammelte Faktenwissen über das Manuskript, den Aufbau seines Glyphenvorrates und die Muster der Wortbildung und den geschichtlichen Kontext, in dem dieses Manuskript mutmaßlich entstand, fügt sich nicht in ein Gesamtbild und führt zu keinem Voranschreiten in der Erkenntnis. In der Tat sind wir kaum über die Einsichten der ersten neuzeitlichen Forscher hinausgekommen, sind immer noch nicht dazu imstande, auch nur ein einziges Wort zu lesen; und das wird auch daran liegen, dass die Gesamtheit der bisherigen Annahmen und Theorien an der Wirklichkeit des Manuskriptes vorbei geht.

Diese beiden Probleme sind eng miteinander verwandt. Es handelt sich nicht um Probleme des Voynich-Manuskriptes, sondern um Probleme, die in Erscheinung treten, wenn wir das Voynich-Manuskript auf unsere Art betrachten und dabei erklären wollen. Das Manuskript verbleibt davon unbeeindruckt, es bleibt genau das, was es immer war. Es kann nicht darum gehen, allerlei Gründe dafür zu suchen, warum die Belege für unsere Theorien dermaßen mager sind, wenn wir wirklich dieses harte Rätsel lösen wollen. Wenn unsere Theorien gut belegbar sind, brauchen wir keine Entschuldigungen zu suchen. Es kann nur darum gehen, erkennbar problematische Theorien zu verwerfen, sich um 180 Grad zu drehen, die Sackgasse zu verlassen und zu hoffen, dass man sich auf dem neuen Weg nicht wieder im Kreise drehen wird. Dass immer wieder kleine Ergebnisse erzielt werden, ist kein Zeichen dafür, dass man sich einer Einsicht nähert, solange nicht eine Verfeinerung der Theorie zu besseren und stärkeren Ergebnissen führt. Und davon ist nichts sichtbar, ganz im Gegenteil, mit zunehmenden Teilerkenntnissen erscheint das Manuskript immer verwirrender, unregelmäßiger, unverständlicher. In meinen Augen ist das ein guter Beleg dafür, dass sich die gesamte Forschung am Voynich-Manuskript in einer Sackgasse befindet.

Und ich werde diese Sackgasse verlassen.

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Datum: Freitag, 1. Mai 2009 19:21
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