Einführungstext

Diesen Text schrieb ich schon vor sehr langer Zeit, da es damals keinen guten Einführungstext in deutscher Sprache gab. Er wurde beim Weltretter  (Website nicht mehr verfügbar) veröffentlicht. Der Weltretter hat allerdings gerade seine Website auf eine andere technische Grundlage gestellt, so dass die alten Inhalte nicht mehr über die normale Navigation erreichbar sind. Deshalb übernehme ich diesen Text, so wie ich ihn damals geschrieben habe, in das Voynich-Blog. Dabei habe ich einige Kürzungen vorgenommen. Wer möchte, kann sich gern den alten Originaltext frei herunterladen.

Das Voynich-Manuskript

page bigAls ein Überbleibsel des (vermutlich späteren) Mittelalters existiert ein in dieser Form einzigartiges, rätselhaftes Dokument, welches den meisten Menschen recht unbekannt ist. Es handelt sich um das so genannte Voynich-Manuskript; ein illustriertes, handgeschriebenes Buch, das in einer bislang unentzifferten Geheimschrift verfasst wurde. Auch im Computerzeitalter und angesichts einer ausgereiften und wissenschaftlich betriebenen Kryptografie und Kryptanalyse bleibt der Text unverständlich, obgleich sich schon etliche Experten an ihm versucht haben.

Ich bin vor einigen Monaten eher zufällig auf dieses Thema gestoßen, als ich eine alte Spektrum der Wissenschaft las, in der eine Abbildung einer Seite dieses Manuskriptes enthalten war. Mein erster Gedanke war, dass es sich um einen »Fake« handeln müsse — so wenig passte das, was ich auf der abgebildeten Seite sah, in meine Vorstellung vom Mittelalter. Dennoch, ich hatte mich auf den ersten Blick in dieses Manuskript verliebt und wollte etwas mehr darüber erfahren.

Das nächste, was ich dann tat, war mit Google nach weiteren Informationen suchen. Mein Interesse war geweckt.

Und dann begann ich damit, mich sehr ernsthaft für dieses Problem zu interessieren. Inzwischen habe ich einen Rechner voller Transkriptionen, Bilder des Manuskriptes und einige eigene kleine Programme, mit denen ich die Transkriptionen analysiere. Andere Menschen lösen Kreuzworträtsel, das konnte mich noch nie befriedigen…

Eine kurze Einführung

Wer angesichts des nun folgenden Textes glaubt, dies sei keine kurze Einführung: Ich könnte sehr viel mehr darüber schreiben.

Die Fakten

  • Autor
    Nicht bekannt.
  • Sprache
    Nicht bekannt.
  • Erstellungszeitpunkt
    Nicht genau bekannt, es kommt der ungefähre Zeitraum zwischen 1200 und 1650 in Frage. Anhand der Indizien, die durch die dargestellten Frisuren und Kleidungsstile der menschlichen Figuren gegeben sind, liegt der wahrscheinlichste Zeitraum zwischen 1450 und 1520.
  • Ursprungsort
    Nicht genau bekannt, die verwendeten Materialien deuten auf Mitteleuropa.
  • Verwendetes Schriftsystem
    Einzigartige und sehr elegant wirkende Kursive aus (je nach Zählung und Bewertung von Ligaturen und Zeichenvariationen) 20 bis 36 verschiedenen Symbolen, die von einer größeren Anzahl sehr selten verwendeter Symbole ergänzt wird. Einige der verwendeten Symbole erinnern an im Mittelalter gängige und verbreitete lateinische Abkürzungen, andere weisen eine eher oberflächliche Ähnlichkeit mit Symbolen der alchimistischen Literatur auf.
  • Bedeutung und Aufbau des Schriftsystemes
    Sehr umstritten. Es ist nicht bekannt, ob es sich um eine phonetische Schrift handelt, ob Silben notiert wurden, ob das System lediglich Ziffern repräsentiert oder ob es sich um eine reine Konsonantennotation (ähnlich dem Hebräischen oder Arabischen) handelt. Es sind ungefähr so viele Hypothesen im Umlauf, wie es Forscher gibt, die sich intensiv mit dem Manuskript beschäftigen.
  • Lesbare Bestandteile des Textes
    An einigen Stellen enthält das Manuskript kurze Texte in lateinischen Lettern, die zum Teil lesbar sind. Sie scheinen alle nachträgliche Hinzufügungen zu sein, stehen außerhalb des eigentlichen Textkörpers und sind Zeugen vergangener Entzifferungsversuche. Ebenfalls lesbar sind die erst nachträglich hinzugefügten Seitennummern in arabischen Ziffern.
  • Maße
    Es handelt sich um einen Codex von 17,8 cm Breite und 25,4 cm Höhe.
  • Umfang
    232 Seiten.
  • Verwendetes Schreibmaterial
    Das gesamte Buch ist mit einer Tinte von ungewöhnlicher, bräunlicher Farbe auf Pergament geschrieben. Zum Schreiben wurde eine angespitzte Vogelfeder verwendet. Die Illustrationen sind ebenfalls in Tinte ausgeführt und nachträglich eingefärbt worden. Es wurde teuer gekauftes, neues Pergament verwendet und nicht ein altes, unleserlich gewordenes oder nicht mehr benötigtes Buch ausradiert und überschrieben, wie dies für weniger wichtige Schriften üblich war.
  • Erhaltungszustand
    Der heutige Einband wurde nachträglich hinzugefügt, für lange Zeit schien die erste und letzte Seite ungeschützt zu sein. Der Zustand dieser Seiten ist relativ schlecht. Auch andere Seiten sind teilweise stärker beeinträchtigt, insbesondere ist die Tinte zuweilen sehr ausgeblichen oder zum Teil abgeblättert. Starke Indizien weisen darauf hin, dass dieses Buch im Verlaufe der Jahrhunderte mehrfach restauriert wurde (teilweise finden sich neben dem Ergebnis solcher Bemühung noch Spuren der ursprünglichen Tinte), es ist aber nicht bekannt, wer dieses auf wessen Veranlassung durchführte. Bei den Restaurationsbemühungen waren offenbar auch Menschen beteiligt, die den Text des Buches nicht lesen konnten und teilweise in falscher Weise wiederherstellten; dies ist keine Erleichterung für das Werk der Entzifferung.
  • Besondere Beschädigungen
    Mehrere Seiten sind sorgfältig herausgetrennt worden, offenbar für jeden verwendeten Typ von Illustration eine.
  • Entdecker
    Das Buch wurde vom Buchhändler Wilfrid M. Voynich im Jesuiten-College in der Villa Mondragone, Frascati, Italien entdeckt und dem Jesuitenorden abgekauft.
  • Erste sichere urkundliche Erwähnung
    Im Jahre 1666 schrieb Johannes Marcus Marci an Athanasius Kircher, dass das Buch für 600 Dukaten an König Rudolf II. verkauft wurde. Dieser Brief wurde ebenfalls von Voynich erworben.
  • Weitere frühere Inhaber des Buches
    Georg Baresch, Alchimist, Prag; Jan Marek (Johannes Marcus) Marci, Rektor der Universität zu Prag; Athanasius Kircher, jesuitischer Mönch, Rom.
  • Derzeitiger Verwahrort
    Das Manuskript befindet sich in der Beinecke-Bibliothek der Universität zu Yale unter der Bezeichnung MS 408.

Die Illustrationen

Ich werde bei der nun folgenden Beschreibung der Illustrationen darauf verzichten, hochqualitatives Bildmaterial zur Erläuterung hinzuzufügen. Am Ende dieses Textes befindet sich eine Linkliste, viele der dort aufgeführten Internetpräsenzen enthalten gutes Bildmaterial, desweiteren stellt die Beinecke Library der Universität zu Yale hervorragende Bilder ihrer Manuskripte im Internet zur Verfügung.

Eine Illustration im pflanzenkundlichen TeilDas erste, was an dem Manuskript wirklich auffällt und was es aus der Menge der anderen handgeschriebenen Werke des Mittelalters deutlich hervorhebt, sind seine Illustrationen.

Dies liegt nicht etwa darin begründet, dass sie—wie dies bei mittelalterlichen Manuskripten aus klösterlichem Umfeld gewöhnlich ist—besonders fein gezeichnet und kunstfertig wären. Nein, sie machen eher den Eindruck der Eile in der Ausführung als den Eindruck besonderer Liebe zur guten Ausführung. Dies heißt aber nicht, dass der Zeichner ungeübt gewesen wäre; er wusste sehr wohl, präzise und flüssig mit einer Feder zu zeichnen, wie mehrfach an feinen Details deutlich wird.

Die Farbgebung ist grob, ihre Ausführung teilweise recht schäbig. Viele mit der Analyse des Manuskriptes beschäftigte Menschen sind zu dem Schluss gekommen, dass die Kolorierung zu einem späteren Zeitpunkt (vielleicht bei einer Restauration) nachträglich durchgeführt wurde, um den Wert des Manuskriptes zu erhöhen, konnte doch ein farbiges Manuskript beim Verkauf in der Regel etwa den doppelten Preis erzielen.

Nein, das Auffällige liegt im Inhalt der Illustrationen. Sie zeigen Pflanzen, die scheinbar niemals auf der Erde wuchsen; sie zeigen kosmologische oder astrologische Entwürfe, die zwar mittelalterlich wirken, jedoch keine Beziehung zu den Objekten des irdischen Firmamentes aufweisen; sie zeigen nackte Nymphen, die zwischen sonderbar organisch anmutenden Röhrensystemen herumtollen; sie zeigen scheinbar als Heilkräuter oder Rauschdrogen verwendbare Pflanzenteile oder Zubereitungen von Pflanzenteilen, ohne dass irgend jemand imstande wäre, die Pflanzen zu identifizieren.

Kurz: Man sieht eine Menge Dinge, die sehr neugierig auf den zugehörigen Text machen. Und diese Neugierde bleibt dann ob eines völlig unverständlichen Textes unbefriedigt.

Gliederung des Manuskriptes an Hand der Illustrationen

Da der Text des Manuskriptes nicht lesbar ist und somit niemand etwas über den Inhalt des Manuskriptes weiß, wird das Manuskript allgemein nach der scheinbaren Natur der Abbildungen eingeteilt in

  • einen pflanzenkundlichen Teil,
  • einen kosmologischen Teil,
  • einen astrologischen Teil,
  • einen pharmazeutischen Teil,
  • einen biologischen Teil und
  • dem abschließenden Teil.

Diese Begriffe sind reine Krücken der Sprache, ersonnen zum Zweck der Mitteilung und des Austausches unter den Interessierten. Niemand weiß, ob der Text irgendeine Beziehung zu den Illustrationen hat und wie diese Beziehung beschaffen ist. Einiges spricht sogar gegen eine Beziehung zwischen Text und Illustrationen, darauf werde ich später noch kurz eingehen.

Bemerkenswert ist, dass für jeden dieser Abschnitte eine Seite des Manuskriptes fehlt. Die Seiten wurden sorgfältig herausgetrennt, ganz so, als ob jemand ein Beispiel für jeden vermuteten Abschnitt des Buches beiseite legen wollte. Es ist nicht genau bekannt, wann die Seiten entfernt wurden, es wird aber manchmal vermutet, dass sie von Voynich entfernt wurden, damit er sie einem Experten für Kryptografie zustelle. Sollte diese Vermutung der Wirklichkeit entsprechen, so bestünde durchaus eine Möglichkeit, die fehlenden Seiten im Nachlasse Voynichs zu finden. Bekannt ist, dass Voynich zum Zwecke der Untersuchung durch Kryptanalysten einige Fotografien des Manuskriptes anfertigen ließ; diese sind aber leider verloren gegangen. Sollten sich diese Fotos finden und sollten darin auch Bilder der zurzeit fehlenden Seiten enthalten sein, so würde das die genannte Vermutung bestätigen.

Doch jetzt ein paar Details zu den verschiedenen erkennbaren Arten der Illustration.

Beispiel einer Illustration im Pflanzenkundlichen TeilIm pflanzenkundlichen Teil des Manuskriptes werden große, die ganze Seite füllende »Pflanzen« dargestellt. Die Darstellung ist vollständig und umfasst auch das Wurzelsystem und gelegentlich andere unterirdische Teile (etwa Knollen) der »Pflanzen«. Beinahe alle »Pflanzen« sind mit einer Blüte gezeichnet.

Der begleitende Text umfasst dabei nicht immer die ganze Seite. So entsteht der Eindruck, jede Seite in diesem Abschnitt sei einer bestimmten »Pflanze« gewidmet; diese werde dort also umfassend behandelt.

Die abgebildeten »Pflanzen« zeigen oft sehr sonderbare Gestaltungsmerkmale. An einigen Stellen wirkt die oberirdische Pflanze, als sei sie auf die Wurzel nur aufgesetzt worden; der für gewöhnlich kontinuierliche Übergang von der Wurzel zum oberirdischen Anteil wirkt wie abgeschnitten. Die Formen der Blätter oder der Wurzeln sind vielfach äußerst ungewöhnlich und weisen teilweise keine Ähnlichkeit zu existierenden Pflanzen auf. Auf der anderen Seite sind viele der morphologischen Eigenarten bei wirklich existierenden Pflanzen vorstellbar, wenn auch die gezeichnete Zusammenstellung obskur wirkt.

Die Blütenformen machen zuweilen nicht den Eindruck real existierender pflanzlicher Geschlechtsorgane, und es fällt mir bei einigen dieser Zeichnungen schwer, ein bestäubendes Insekt zu imaginieren. (Schade, dass dieses Manuskript keine Abbildungen der bestäubenden Insekten enthält.)

Ein sehr auffälliges Merkmal vieler »Pflanzen« in diesem Manuskript ist, dass sie Blätter in zwei verschiedenen, im Verlauf des Sprosses abwechselnd auftretenden Farben tragen. So weit ich weiß, ist eine solche Erscheinung in der Natur völlig unbekannt oder äußerst selten. Diese Eigenart der Darstellung könnte allerdings bei der oft vermuteten nachträglichen Kolorierung entstanden sein und muss somit nicht in der Absicht des Autors gelegen haben.

Eine Illustration im kosmologischen TeilIm kosmologischen Teil des Manuskriptes finden sich Abbildungen der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Sterne sowie einige komplexe Entwürfe, die nur schwerlich einer Deutung zugänglich sind. Einige dieser Abbildungen nehmen große, zusammengefaltet im Buch gelagerte Seiten ein und sind äußerst obskur.

Der Stil, in welchem die vertrauteren Elemente dieses Teils (Sonne, Mond, Sterne) gezeichnet sind, entspricht durchaus den einfachen Darstellungen des Mittelalters und auch jenen volkstümlichen Darstellungen, die in der Frühzeit des Buchdrucks als billige Flugblätter allgemeine Verbreitung fanden.

Der Entwurf ist in der Regel kreisförmig, meist von vierfacher oder achtfacher Symmetrie. Das dargestellte Objekt befindet sich in der Mitte.

Die Beschriftung ist bei diesen Darstellungen integraler Bestandteil der Illustration. Sie ist kreisförmig um das Objekt herumgeführt oder geht wie in Strahlen (auch spiralförmig und so entfernt an eine Spiralgalaxie erinnernd) vom zentralen Objekt aus. Wenn überhaupt zusätzliche Beschriftung verwendet wird, ist diese sehr sparsam, besteht nur aus einigen von der Zeichnung in die Ecke gedrängten Zeilen unverständlicher Zeichen. Ich greife hier etwas dem Kommenden vorweg und merke an, dass sich in diesem Teil des Buches außerordentlich viele Zeichen des Schriftsystemes befinden, die genau einmal oder nur sehr selten Verwendung finden.

Da dieser Abschnitt offenbar mehrfach und schon sehr früh restauriert wurde, könnten die einmalig verwendeten Symbole auch zum Teil auf die Unkenntnis des Restaurators zurückgehen. An einigen Stellen ist ein solcher Irrtum recht offensichtlich, an anderen lässt er sich nur vermuten.

Eine Beispielillustration im astrologischen TeilIm astrologischen Teil befinden sich ähnliche Abbildungen wie im so genannten kosmologischen Teil, und ebenso wie dort ist die Beschriftung integraler Bestandteil der Illustration.

Allerdings unterscheiden sich die Darstellungen vom kosmologischen Teil durch die in der Regel zwölfzählige Symmetrie, die an den Verlauf der Monate im Jahr oder an die Wanderung der Sonne durch den Tierkreis gemahnt; durch die Verwendung der Bilder von Tieren oder Nymphen, die wie allegorische Bilder das abstrakt dahingezirkelte Firmament bevölkern und durch die Darstellungen einer Art von »Tierkreis«.

Somit entsteht beim Betrachter der Illustrationen der Eindruck, dass hier dem Kosmos mit einem anderen Schwerpunkt des Wahrnehmens begegenet wird—und dieser Eindruck schlägt sich in der Bezeichnung »astrologisch« wieder. Einige unterscheiden hiervon noch den eigenen Teil »Tierkreis« für jene 12 Abbildungen, die sich mit einem einzelnen Tierkreiszeichen befassen, wobei offenbar die auch heute noch bekannten Tierkreiszeichen verwendet werden, wenn auch unüblicherweise jedes dieser Zeichen von genau 30 überwiegend nackten »Nymphen« umgeben ist, die jeweils einen Stern halten. Als Deutung dieser Eigenart drängt sich die Annahme eines dreißigtägigen Monates auf, jede der Nymphen repräsentiert darin einen Tag.

Übrigens wurde auch hier schon sehr früh eine teilweise Restaurierung vorgenommen, die dem Text und der Illustration Schaden zufügte. So wurden etwa einige der »Nymphen« ursprünglich ohne Brüste gezeichnet, die Brüste wurden später vom Restaurator hinzugefügt. Dabei ging er allerdings nicht sehr gründlich vor, und so findet sich unter anderem auch eine »brustamputierte Nymphe« mit nur einer Brust.

In diesem Teil kann auch einmal etwas lesbarer und vollkommen verständlicher Text gefunden werden—nämlich die in einer unbekannten Sprache niedergeschriebenen Namen der Monate. Es ist nicht klar, ob es sich dabei um die Schrift des ursprünglichen Autors oder um die Hinzufügung eines späteren Besitzers handelt.

Illustrationen aus dem pharmazeutischen TeilIm pharmazeutischen Teil werden wieder »Pflanzen« abgebildet, oft nur bestimmte Pflanzenteile, etwa die Wurzeln oder die Blätter. Wie es inzwischen auch nicht mehr anders zu erwarten wäre, ist auch die Identifikation dieser »Pflanzen« (für Fachleute der Biologie und Botanik) nicht möglich oder äußerst unsicher.

Desweiteren finden sich Abbildungen von Behältern (vielfach im Schriftsystem des Manuskriptes beschriftet), die den Eindruck erwecken, dass sie bestimmte Zubereitungen dieser »Pflanzen« aufnehmen sollen.

Auf diese Weise entsteht der Eindruck, dass hier die wirksamen Teile von Heil- oder Rauschpflanzen abgebildet seien, und bei oberflächlicher Betrachtung würde man glauben, dass der zugehörige Text über die Anwendung, Dosierung und Heilwirkung (oder Rauschwirkung) Aufschluss vermittelt.

Zu beinahe jeder »Pflanze« ist ein kurzer Text zugeordnet. Dieser erscheint wie ein zugeordneter Name—zu schade, dass niemand zu sagen vermag, um welche Pflanzen es sich hier eigentlich handelt, sonst wäre die Entzifferung des Textes wohl etwas leichter.

Einige der abgebildeten »Pflanzen« zeigen wieder sonderbare Strukturmerkmale. So gibt es etwa eine Zeichnung, auf der sich zwei verschiedene »Pflanzen« ein gemeinsames Blatt teilen, was meines Wissens ohne natürliches Beispiel ist.

Illustrationen aus dem biologischen TeilDer biologische Teil ist für meine Augen das Seltsamste. Nackte Nymphen baden in Wassern, die durch seltsame, organisch wirkende, beinahe wie Blutgefäße anmutende Röhrensysteme verbunden sind und aus unidentifizierbaren Vorrichtungen gespeist werden. Eine solche Darstellung prägte meinen ersten Eindruck vom Voynich-Manuskript, und sie erweckte in mir sofort den Zweifel daran, dass es sich um eine mittelalterliche Handschrift handeln könne. Zu modern erschien mir diese Formensprache.

Nach längeren Recherchen bin ich davon überzeugt, dass diese Darstellungen für das Mittelalter einzigartig sind. Selbst wenn sich der immer wieder aufkommende Verdacht erhärten sollte, dass das Manuskript erst um 1550 geschrieben wurde, handelt es sich immer noch um eine beispiellose künstlerische Gestaltung, die sicher nicht erst heute sehr fremdartig, surrealistisch, ja beinahe außerirdisch wirkt.

Die »Fettleibigkeit« der badenden Nymphen hat bei verschiedenen mit dem Manuskript beschäftigten Zeitgenossen die Frage aufkommen lassen, ob es sich um Darstellungen schwangerer Frauen handele. Dies ist wohl getrost zu verneinen, die wohlgeformten, prallen Frauenleiber entsprechen vollkommen dem weiblichen Schönheitsideal des Mittelalters und der beginnenden Renaissance—wer’s nicht glaubt, besuche das nächste Museum und betrachte einige der etwas sinnenfreudigeren Bilder aus jener Zeit. Erst vor relativ kurzer Zeit hat sich das gesellschaftliche Ideal zur abgemagerten und verhungert aussehenden Frau gewandelt.

Einige der unidentifizierbaren Strukturen, die in den Illustrationen dieses Teiles erscheinen, erinnern recht stark an Strukturen, die beim Mikroskopieren organischer Präparate sichtbar werden. Dabei kann es sich natürlich um einen sonderbaren Zufall handeln, aber diese Koinzidenz erhöht den befremdlichen Eindruck der für das Mittelalter unpassenden Bildsprache beim Betrachten.

Ein Eindruck vom abschließenden TeilIm abschließenden Teil gibt es keine bemerkenswerten Illustrationen mehr.

Eine größere Menge Text ist in kleinen Absätzen zusammengefasst. Vor jedem dieser Absätze befindet sich die Zeichnung eines Sternes oder vielleicht auch einer Blüte.

Es ist mehrfach die Vermutung geäußert worden, dass es sich zusammen mit der fehlenden Seite um insgesamt 365 Absätze handeln könne, somit um einen Absatz für jeden Tag des Jahres. Dann könnte es sich um eine Art von Kalender handeln, der den Tagen des Jahres vergangene Ereignisse, sinnreiche Sprüche oder Ähnliches zuordnet.

Die Möglichkeit einer solchen Deutung lässt sich aber erst entscheiden, nachdem die fehlenden Seiten oder Fotografien der fehlenden Seiten gefunden wurden (oder eine Möglichkeit gefunden wurde, den Text zu lesen). Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt nichts anderes, als sich jeglicher Deutung dieses Abschnittes zu enthalten.

Zusammenfassung

Zusammenfassend und abschließend lässt sich zum Thema der Illustrationen sagen, dass an Hand der Abbildungen den Eindruck eines Kompendiums gesammelten Wissens auf den Gebieten der Pflanzenkunde, Heilkunst, Astronomie und Astrologie entsteht. Die sonderbaren Gebilde im biologischen Teil finden dann innerhalb dieser Hypothese des Augenscheins keinen Anknüpfpunkt und wirken wohl gerade aus diesem Grunde so ungewöhnlich, anziehend und verwirrend.

Der Eindruck der Verwirrung steigert sich dann weiter, wenn sich herausstellt, dass vermutlich alle abgebildeten Pflanzen ohne natürliches Vorbild sind. Auch die astrologischen und kosmologischen Entwürfe zeigen keine Verpflichtung gegenüber dem gebieterischen Firmament und seinen Erscheinungen.

Um was geht es also in diesem Buch? Die Konfrontation mit einem Text, der in einer unentzifferbaren Geheimschrift geschrieben wurde, trägt hier nicht gerade zur Klärung bei.

Der Text

Zunächst einmal ein kleiner Ausschnitt aus dem Manuskript, der einen ersten Eindruck vom verwirrenden Charakter des verwendeten Schriftsystemes zu vermitteln vermag. Ich habe den Kontrast leicht erhöht, damit die Eigenarten der Kursive besser zu Tage treten.

Ein Beispiel für den Schriftfluss im Manuskript

Ich werde im Folgendem die niedergeschriebenen Symbolfolgen naiv als das bezeichnen, was sie zu sein scheinen und vom »Text des Manuskriptes« sprechen. Es ist keineswegs sicher, dass es sich wirklich um einen »Text« handelt—es könnte auch eine (allerdings gut und einfallsreich) konstruierte sinnlose Zeichenfolge sein, was den bisherigen, äußerst deprimierenden Misserfolg aller Entzifferungsbemühungen verständlich machte.

Der erste Eindruck vom Text

Auf dem ersten Blick wirkt der Text beinahe vertraut und natürlich. Es sind Symbole zu Gruppen geordnet, diese Gruppen werden durch Zwischenräume getrennt, so dass der Eindruck von »Wörtern« entsteht. Die gesamte Schreibweise vermittelt den Augenschein, dass dieser Text relativ flüssig geschrieben wurde; so vermutet man dann schnell, dass er wohl auch flüssig zu lesen gewesen sein muss. Nichts im Erscheinungsbilde des Textes deutet darauf hin, dass beim Schreiben längere Gedenkpausen nach jedem Zeichen gemacht wurden, um komplizierte Berechnungen durchzuführen oder Hilfsmittel für die Verschlüsselung zu verwenden. Alles wirkt durchgehend und schwungvoll, wie eine durchaus hübsche und elegante, aber auch etwas eilige und schlampige Handschrift; und diese scheinbare »Schlampigkeit« erhöht noch den Anschein einer relativ leicht erzielbaren Deutung.

Verstärkt wird die »anheimelnde« Erscheinung durch die offensichtlich vertraute Schreibrichtung. Der Fluss des Textes geht deutlich von links nach rechts.

Obwohl der Text nicht lesbar ist, hat er etwas sehr gewöhnlich Anmutendes. Der unkundige Blick auf einen arabischen oder hebräischen Text oder gar auf Hieroglyphen bewirkt für einen Europäer ein viel größeres Befremden als diese äußerst ansprechende Kryptografie, die ihre Komplexität und Fremdartigkeit erst auf dem zweiten Blick zeigt.

So sagt man sich etwa folgendes: »Wir haben einen verschlüsselten Text, und die Verschlüsselung sieht so aus, als habe sie jemand flüssig und ohne besondere Hilfsmittel einfach im Kopfe durchgeführt und habe sie demnach wohl auch ebenso einfach rückgängig machen können, um den Text wieder lesen zu können. Das kann doch wirklich kein kompliziertes Verfahren sein, zumal die kryptographischen Methoden des Mittelalters eher primitiv waren.«

Auffallend ist dann noch das Fehlen jeglicher Satzzeichen. Die »Wörter« werden flugs hintereinander weg in Zeilen und Absätzen geschrieben. Wenn es eine feinere Struktur aus Sätzen und sprachlichen Gruppen gibt, sollte sie — wenigstens für den Autor und die eventuelle weitere Leserschaft der damaligen Zeit—leicht aus dem Text selbst hervorgehen und auch einem Entzifferer der Jetztzeit (eventuell mit einer gewissen Mühe) deutlich werden können.

Auch eine weitere Eigenart des Textes fällt sofort ins Auge. Einzelne Elemente der Illustrationen sind mit kurzen Texten, meist nur einem »Wort« versehen, so als hätte der Autor eine Bezeichnung daneben geschrieben. Und so denkt man sich: »Wenn man doch nur genau wüsste, was dort wirklich abgebildet ist. Dann hätte man einen ersten Ansatz zum Verständnis, und die Entzifferung wird einfach.«

Und dann fängt man damit an, sich mit dem Text zu befassen. Die scheinbare Vertrautheit, die einem eine einfache Aufgabe suggeriert, weicht schnell der totalen Konfusion…

Probleme beim Ermitteln des Zeichenvorrates

Wenn sich jemand erstmals mit dem Voynich-Manuskript beschäftigt, erscheint es ihm gar nicht recht einleuchtend, dass schon so etwas Elementares wie die Bestimmung des verwendeten Zeichenvorrates Probleme bereiten kann und auf das Heftigste umstritten ist. Deshalb gehe ich zunächst kurz auf dieses — im Folgenden für das Thema der Transkription noch recht wichtige — Thema ein.

Gehen wir einmal von einer Sprache aus, die jedem Leser dieses Textes vertraut sein dürfte, nämlich der Deutschen. Deutsch wird heute bekanntlich unter Verwendung des lateinischen Alfabetes geschrieben, welches 26 Zeichen umfasst. Damit sollte die Frage nach dem Zeichenvorrat eigentlich geklärt sein, wenn im Rahmen dieser kleinen Betrachtung einmal die Unterscheidung zwischen Majuskeln und Minuskeln ignoriert wird.

Bei nährerer Überlegung stellt man dann schnell fest, dass die deutschen Umlaute sowie die zum Schriftsymbol gewordene Ligatur aus »s« und »z«, unser heutiges »ß«, aufgrund ihres eigenen Lautwertes durchaus als eigene Zeichen betrachtet werden müssen. Ist aber jemanden die Deutsche Sprache fremd, hat er keine Möglichkeit der Entscheidung, ob es sich hier um (vielleicht nur ästhetisch motivierte) Abwandlungen von Zeichen des normalen Symbolvorrates (vielleicht mit diakritischen Zeichen zur Regelung der Betonung) oder um eigenständige Schriftzeichen handelt.

Dann finden sich sporadisch Sonderzeichen in der Deutschen Schriftsprache, die durch die Übernahme von Fremdworten einflossen, wie etwa in Café, Øresund oder Ångström. Ein unverständiger Betrachter, der den Zusammenhang und die Herkunft dieser Wörter nicht kennt, wird diese Zeichen falsch interpretieren oder sie in einem handgeschriebenen Dokument vielleicht sogar für Schreibfehler halten, wenn sie nur an einer Stelle erscheinen.

Darüber hinaus wird der Zeichenvorrat ergänzt durch gängige Abkürzungen und Sonderzeichen, als da beispielsweise wären: $, €, £, ¥, µ, ©, ®, ™, §, sowie die wichtige Gruppe der arabischen Ziffern. Je nach Art eines Textes treten solche Abkürzungen und Sonderzeichen mit unterschiedlicher Häufigkeit und in unterschiedlichen Zusammenhängen (ja, wie in diesem Text zuweilen auch als zusammenhanglose Aufzählung) auf, ihr besonderer Charakter muss sich einem Unkundigen unserer Sprache und Kultur verschließen, zumal viele dieser Zeichen wie Varianten der Zeichen des normalen Symbolvorrates erscheinen.

Weiterhin sind sich auch einige Zeichen im standardmäßigen Symbolvorrat des lateinischen Alfabetes recht ähnlich und könnten ohne nähere Kenntnis ebenfalls leicht für Varianten desselben Symboles gehalten werden, etwa »O« und »Q«, »C« und »G«, »h« und »n«, »c« und »e« oder »i« und »j«. Uns Zeitgenossen, die wir des Lesens lateinischer Lettern kundig sind, fallen diese Unterscheidungen meist sehr leicht, da wir den Zusammenhang des Geschriebenen und den üblichen Sprachgebrauch kennen und in der Bewertung dieser Subtilitäten des Schriftbildes gut geübt sind. Wie schwierig diese Unterscheidungen wirklich sind, wurde bei den ersten Versuchen deutlich, (gedruckte) Texte durch einen Computer erkennen zu lassen—und so richtig befriedigt eine OCR-Software auch heute noch nicht.

Bei der Betrachtung älterer Zeugnisse der Deutschen Sprache wird das Problem noch größer. Die Deutsche Sprache wurde in aller Regel in gotischer Fraktur geschrieben, dabei wurden bestimmte Symbolfolgen mit besonderer lautlicher Bedeutung zu Ligaturen zusammengefasst, desweiteren wurden einige Zeichen abhängig von ihrer Stellung im Worte in speziellen Varianten geschrieben. Die folgende Auflistung gibt einen kleinen Überblick der häufigsten Sonderfälle:

  • »ch« wurde, seiner lautlichen Eigenidentität entsprechend, zu einer Ligatur zusammengefasst. »sch« repräsentiert ebenfalls eine lautliche Eigenidentität, wurde aber seltener zu einer Ligatur zusammengefasst.
  • »st« wurde ebenfalls zu einer Ligatur zusammengefasst und aus diesem Grund bis zur letzten Rechtschreibreform niemals getrennt, selbst wenn sich an dieser Stelle eine Silbengrenze befand.
  • »ck« wurde häufig als Ligatur geschrieben, aber nicht von jedem Schreiber.
  • Ein abschließendes stimmloses »s« wurde als Ligatur von »sz« geschrieben, woraus das heutige Schriftzeichen »ß« entstand. Ein stimmloses »s« in der Wortmitte wurde hingegen durch eine Ligatur der Verdoppelung des Symboles »s« notiert, wenn der vorhergehende Vokal kurz war.
  • »s« am Ende einer sprachlichen Gruppe von wortartiger Beschaffenheit oder als Fugenlaut zusammengesetzter Hauptwörter wurde als eigenes Symbol (als »Schluss-s«) geschrieben, welches keine offensichtliche Ähnlichkeit zum gewöhnlichen Symbol für »s« hatte, obwohl es den gleichen Laut repräsentiert.
  • Fremdwörter lateinischen Ursprunges wurden häufig im lateinischen Alfabet, also mit einem völlig anderen Zeichenvorrat geschrieben, der nur entfernte Ähnlichkeit zu den Symbolen der Fraktur aufweist, obwohl beide Alfabete auf den gleichen Ursprung zurückgehen.
  • Zu allem Überfluss sind sich in gotischer Fraktur die Zeichen »f« und das gewöhnliche, in der Wortmitte auftretende »s« sehr ähnlich.

Wenn unter diesen Bedingungen mehrere Menschen ohne Verständnis des Schriftsystemes und der Sprache aus dem Studium eines einzelnen — sei es auch ein sehr umfangreiches — Dokumentes heraus eine Abschätzung des Symbolvorrates vorzunehmen versuchen, dann werden dabei ungefähr so viele (gut und lehrreich begründete) verschiedene Abschätzungen entstehen, wie es Schätzer gibt. Die Einsicht in die wirklichen Verhältnisse würde bei diesem Unterfangen zur reinen Glückssache; sie wäre der bloße Zufall der richtigen Annahmen über Zeichen, Varianten von Zeichen, Ligaturen und Abkürzungen — und die Uneinigkeit unter den Schätzern würde dementsprechend groß werden.

Wenn wir das Voynich-Manuskript betrachten, stellen wir die Existenz vieler einander recht ähnlicher Symbole fest, die leicht Varianten des selben Symboles sein könnten; ferner treten uns einige scheinbare — für manche Schätzer auch offenbare — Ligaturen entgegen. Ebenso finden wir einige Zeichen, die nur an sehr wenigen Stellen auftreten, so dass wir nicht zu sagen vermögen, ob diese dem Kern des Symbolvorrates zugehörig sind. Ebenso fraglich ist es, ob bestimmte häufige Gruppen von Wiederholungen des scheinbar gleichen Symboles nun als eigenes Symbol zu betrachten sind, oder ob es sich dabei um wirkliche Wiederholungen handelt. Das Schriftsystem ist uns völlig unbekannt, die Einsicht in seine Verhältnisse wird somit zur reinen Glückssache — die Uneinigkeit unter den Schätzenden ist dementsprechend groß.

Eigenschaften des Schriftsystemes

Ich werde für alle folgenden Erläuterungen keine Ausschnitte von Bildern des Manuskriptes verwenden, da ich nicht den Fokus auf die teilweise schwierige Lesbarkeit und Interpretierbarkeit legen möchte, sondern einige Eigentümlichkeiten des Schriftsystemes aufzuzeigen gedenke. An ihrer Stelle verwende ich kleine Grafiken, welche ich mit Hilfe eines Grafikprogrammes und eines speziellen Zeichensatzes angefertigt habe. Diese Grafiken geben natürlich nur einen sehr idealisierten, viel zu regelmäßigen Eindruck dessen, was in der Handschrift wirklich erscheint (und dort seine eigenen, weiteren Fragen aufwirft). Für den hier verfolgten Zweck ist’s aber genau das Benötigte.

Für einen kleinen Eindruck der Schwierigkeiten betrachten wir einen winzigen Auschnitt—nur die erste Zeile der ersten Seite des Manuskriptes:

fachys ykal ar ataiin shol shory cthres sholdy

Hier wird schon eine gehörige Menge von Fragen aufgeworfen, die geradezu teuflisch schwer zu entscheiden sind, wenn keine weiteren Informationen über das Schriftsystem vorliegen:

  • Da sind die beiden sehr ähnlichen Symbole r und s , die in der Handschrift manchmal gar nicht leicht unterscheidbar sind. Handelt es sich dabei lediglich um Varianten des gleichen Symboles, oder handelt es sich um zwei völlig verschiedene Symbole?
  • Auch die Symbole t und k sehen sich recht ähnlich. Sollten dies nur unwesentliche Varianten des gleichen Symbols sein, deren scheinbare Verschiedenheit durch die Unvollkommenheit der Handschrift entstand?
  • Ist dieses sheigentlich ein ch mit einer Art von diakritischem Zeichen, oder ist es eine Form von Ligatur, oder ist es ein eigenständiges Symbol?
  • Das Symbol cth sieht aus, als bestünde es aus ch und t in einer wirklich sonderbaren Ligatur. Stimmt diese Annahme, oder handelt es sich hier um ein eigenes Zeichen?
  • Ist dieses a vielleicht eine Ligatur aus o und i?
  • Handelt es sich bei iinum ein einzelnes Symbol? Um zwei? Um drei? Vielleicht sogar um vier?

Wenn schon die erste Zeile solche grundsätzlichen Fragen aufwirft, ist es wohl jedem leicht vorstellbar, dass die Interpretation des Textes bereits bei der Ermittlung der verwendeten Zeichen sehr schwierig wird. Zum Glück kommen im weiteren Verlauf des Textes zu den soeben am kleinem Beispiele erwähnten nur wenige grundlegend neue Schwierigkeiten hinzu; das wichtigste weitere Problem ist das Auftreten sehr seltener (vielfach nur einmalig erscheinender), zum Teil äußerst komplex aufgebauter Symbole.

Es lassen sich grundsätzlich die folgenden Eigenschaften des Textes feststellen, aus denen einige für jeden Entschlüsselungsversuch essentielle Forderungen erwachsen:

  • Der Text ist aufgeteilt in Symbolfolgen, diese sind durch Zwischenräume voneinander getrennt. Dieses Bild wird vom Augenschein her leicht als das Auftreten von »Wörtern« gedeutet. Als Grundlage eines erfolgreichen Entzifferungversuches muss die Entscheidung getroffen werden, ob diese Interpretation des offensichtlichen Anscheines richtig ist, oder ob hier eine andere Interpretation gefunden werden muss.
  • Der Text enthält mehrere Gruppen sehr ähnlich aussehender Symbole, und als Grundlage eines erfolgreichen Entzifferungsversuches muss für jede dieser Gruppen die richtige Entscheidung getroffen werden, ob es sich hierbei um verschiedene Symbole oder nur um unwesentliche und bedeutungslose handschriftliche Varianten des gleichen Symboles handelt.
  • Der Text enthält verschiedene komplex zusammengesetzte Zeichen, und als Grundlage eines erfolgreichen Entzifferungsversuches muss hier jeweils die richtige Entscheidung getroffen werden, ob es sich hierbei um Ligaturen einfacher Symbole oder um Zusammenstellungen mit eigener Symbolbedeutung handelt.
  • Der Text enthält häufig eine beispiellose und sehr sonderbare Form der Ligatur, bei der bestimmte Symbole in die Mitte zwischen zwei verbundenen Symbolen gestellt werden, ganz so, als würde das mittlere der Symbole »auf einem Podest« stehen. Als Grundlage eines erfolgreichen Entzifferungsversuches muss diese Erscheinung in richtiger Weise gedeutet werden.

Dass ein verschlüsseltes Dokument aus dem Mittelalter bei solch‹ sonderbaren Eigenschaften und allen mit diesen Eigenschaften verbundenen Schwierigkeiten auch in der Jetztzeit mit ihrer hoch entwickelten, wissenschaftlich betriebenen Kryptanalyse und der für jedermann verfügbaren immensen mechanischen Rechenleistung jedem Versuche der Entzifferung trotzen kann, scheint nach den bisherigen Betrachtungen gar nicht mehr so unglaublich.

Transkription des Textes

Bei jedem heutigen Entschlüsselungsversuch und jeder anderen Form der Forschung am Text des Manuskriptes wird man einen Computer zur Hilfe nehmen wollen, das ist gar keine Frage. Und damit stellt sich ein Problem, welches die Schwierigkeiten der Symbolinterpretation auf die Spitze treibt: Der Text muss in einer Form vorliegen, die mit Hilfe eines Computerprogrammes zu verarbeiten ist.

Um den Text in eine solche Form zu bringen, bleibt keine andere Wahl, als ihn abzuschreiben, indem er mit Hilfe eines Editors erfasst wird. Diese leidige Arbeit kann der Computer nicht dem Menschen abnehmen. Schon die Verarbeitung eines eingescannten, in lateinischen Lettern einer gewöhnlichen Schriftart gedruckten Textes mit einem heutigen Texterkennungsprogramm erzeugt einige Fehler pro Seite; bei handschriftlichen Blockbuchstaben—seien sie auch noch so sauber geschrieben—ist die Fehlerquote vollends intolerabel. Und dies ist eine Situation, in der das gesamte Alfabet und die verwendete Sprache vollständig bekannt und für Menschen (also auch für Programmierer) leicht interpretierbar sind.

Beim Abschreiben des Manuskriptes stellt sich dann das äußerst schwierige Problem, welche Symbole des Manuskriptes welchen Zeichen des vom Computer verwendeten Zeichensatzes zugeordnet werden sollen.

Wie bereits erwähnt, ist ja schon die grundlegende Frage umstritten, wie denn nun der Symbolvorrat des Voynich-Manuskriptes beschaffen ist. Wenn eine unglückliche Entscheidung in Bezug auf das Transkriptionsalfabet getroffen wird, dann könnten im schlimmsten Fall alle Resultate der automatisierten Arbeit, Analyse und Forschung am Manuskript vollkommen falsch sein. Wenn man einem Programm eine unrichtige Eingabe gibt, kann auch die Ausgabe des Programmes nicht richtig sein. Es können im Vorfeld völlig richtige Annahmen gemacht worden sein, es kann ein Programm erstellt worden sein, welches einen entscheidenen Beitrag zur Entzifferung leisten würde—wenn nur die Eingabedaten richtig wären. Mit falschen Eingabedaten liefert die Verarbeitung durch einen Computer nur Müll.

Eine schlechte Entscheidung bedeutet hier: Mit viel Mühe zu völlig falschen Ergebnissen kommen und jahrelang in einer Sackgasse verweilen. Zudem gibt es bei keiner getroffenen Entscheidung irgendeine Möglichkeit, rechtzeitig im Vorfeld festzustellen, ob sie nun eine gute oder schlechte Entscheidung ist. Nur der Erfolg einer bestimmten Entscheidung kann dies aufzeigen; umgekehrt hat der Misserfolg eines Transkriptionsalfabetes allerdings keine eindeutige Aussage, da auch die verfolgten Analysebestebungen unangemessen gewesen sein könnten.

Es gibt zurzeit kein unumstrittenes Transkriptiosalfabet. Verschiedene Verfahren sind in Verwendung, und jedes hat seine Befürworter. Eine Eigenschaft muss ein Transkriptionsalfabet in jedem Fall haben, und über diesen Punkt werden sich alle einig sein: Es muss so beschaffen sein, dass beim mühevollen Übertragen des Textes keine möglicherweise für die Textbedeutung relevante Information vernichtet wird7. Die Vorgehensweise zum Erreichen dieses Zieles muss gut überlegt sein, und da gehen viele dann wieder auseinander.

An dieser stelle enthielt mein Original-Text eine Einführung in das Transkriptionsalfabet EVA, diese habe ich hier nicht übernommen. Ich beabsichtige, eine wesentlich vollständigere Darlegung und einen Vergleich mit anderen historischen und modernen Transkriptionsverfahren zu geben. Aber das braucht Zeit.

Einige Ergebnisse von Computeranalysen

Nachdem eine Transkription durchgeführt wurde (eine Mordsarbeit, die inzwischen schon mehrere Menschen getan haben), können endlich Analysen mit Hilfe eines Computers durchgeführt werden. Als Ergebnis solcher Analysen verstärkt sich aber nur der inzwischen gewonnene Eindruck vollkommener Fremdartigkeit und Unverständlichkeit.
Einige Ergebnisse von Computeranalysen

Die wenigen hier aufgeführten Ergebnisse der computergestützten Analyse erheben natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie sollen nur einen ersten Eindruck von der Seltsamkeit des Textes vermitteln.

Der Text hat viele statistische Eigenschaften natürlicher Sprache. Dies gilt für die Verteilung der Wortlängen, für die Verteilung der Worthäufigkeiten, für die Entropie des Textes (das ist das Maß der Unordnung) und für die Verteilung der relativen Häufigkeiten der Symbole. In allen diesen statistischen Eigenschaften erweckt der Text den starken Eindruck, in einer natürlichen Sprache geschrieben zu sein. Wenn der Text aufwändig kodiert sein sollte, wäre die Erhaltung dieser Eigenschaften ungewöhnlich und schwierig zu erklären—eine einfache Verschlüsselung wäre hingegen längst gelöst worden.

Die »Wörter« des Textes sind hochgradig strukturiert. Es lässt sich eine regelrechte »Grammatik« für die im Text vorkommenden »Wörter« aufstellen, wobei diese in einem Stamm, eine Gruppe von Präfixen und eine Gruppe von Suffixen zerlegt werden. Das so entstehende Schema lässt sich für mehr als 95 Prozent der »Wörter« im Text nachweisen. Die scheinbare Sprache weist ein hohes Maß an Regelmäßigkeit auf, ist aber—ganz wie es auch für eine natürliche Sprache zu erwarten wäre—nicht vollkommen regelmäßig. Der Aufbau der »Wörter« unterscheidet sich allerdings stark von europäischen Sprachen, er weist eine oberflächliche Ähnlichkeit mit den Verhältnissen in der arabischen Sprache auf.

Scheinbare Vokale. In jedem Wort, das eine bestimmte Länge überschreitet (und damit ganz offenbar keine Abkürzung mehr ist), müssen zwangsläufig Symbole aus einer bestimmten Untermenge des Symbolvorrates vorkommen; dies erweckt den Eindruck von Vokalen oder anderer für die Intonation unentbehrlicher Laute in einer Sprache.

Wortwiederholungen. An außerordentlich vielen Stellen des Textes steht zweimal das gleiche »Wort« direkt hintereinander, an einigen Stellen finden sich sogar dreifache Wiederholungen. Ebenfalls ungewöhnlich häufig ist die Aufeinanderfolge zweier »Worte«, die sich in nur einem Zeichen unterscheiden; dieser Unterschied ist in den meisten Fällen systematisierbar, da nicht jedes Zeichen durch jedes Zeichen ersetzt werden kann. Bei völlig zufälliger Anordung der Worte aus der Transkription von T. Takahashi würden exakte Wortwiederholungen etwa 165mal zu erwarten sein, sie treten jedoch insgesamt 311mal auf. Eine solche erhöhte Neigung zur Wortwiederholung kommt in keiner heutigen europäischen Sprache vor, dort werden solche direkten Wiederholungen eher gemieden.

Die »Bezeichnungen« sind besondere »Wörter«. Vielfach sind einzelne Elemente der Illustration mit einem abgesetzten, kurzen Text versehen, der den starken Eindruck vermittelt, es handele sich hier um eine Bezeichnung des Abgebildeten. Wenn allein diese »Bezeichungen« analysiert werden, stellt sich heraus, dass sie in verschiedenen statistischen Eigenschaften deutlich vom Durchschnitt des Textes abweichen. Wenn es sich, wie der Augenschein ja vermittelt, wirklich um Bezeichnungen handelt, dann sollten hier vorwiegend Hauptwörter verwendet werden—und die gefundenen Abweichungen könnten spezielle grammatische Regeln für Hauptwörter wiederspigeln. Dieses Ergebnis hat zwar genug Aussagekraft, um von statistischer Relevanz zu sein; es lässt sich daraus aber leider noch keine hypothetische Grammatik der Hauptwörter zusammenstellen, weil einfach zu wenige der hypothetischen Hauptwörter vorliegen.

Dialekte. Im Jahre 1976 verkündete Precott Currier (der übrigens auch ein eigenes Transskriptionsalfabet ersann und verwendet) seine Entdeckung, dass der pflanzenkundliche Abschnitt anhand des Textes in zwei klar unterscheidbare Sektionen unterteilt werden kann. Die verwendeten Sprachen unterscheiden sich sehr deutlich im Aufbau der Worte; ferner konnte Currier zwei verschiedene Handschriften ausmachen, die sich mit den unterschiedlichem Sprachgebrauch gut deckten. Dies schien auf mindestens zwei Autoren zu deuten, die entweder verschiedene »Dialekte« schrieben oder unterschiedliche Konventionen in ihren Schreibweisen verwendeten. Die Erkennung der unterschiedlichen Handschriften ist eher unklar und wurde von vielen Experten der Graphologie nicht bestätigt, die Existenz der beiden »Dialekte« steht jedoch außer Zweifel. Ohne die Bestätigung durch die Graphologie sagen diese »Dialekte« jedoch nichts über die Anzahl der Autoren, sondern nur etwas über die Anzahl der verwendeten »Sprachen« oder »Schreibweisen«.

Die Zusammenhänge zwischen den Illustrationen und dem Text sind fraglich. Wenn der Text im pharmazeutischen oder pflanzenkundlichen Teil eine Beziehung zur scheinbaren Natur der Abbildung hätte, würden, wäre der Text nicht verschlüsselt, sondern nur in einer uns unbekannten Sprache geschrieben, bestimmte, sich wiederholende Formulierungen erwartet. Im pharmazeutischen Teil sollte der Text die als Droge verwendbaren Pflanzenteile benennen (Wurzeln, Blätter, Blüten, Früchte) und wiederkehrende Zubereitungs- und Anwendungsformen erwähnen (Trocknen, als Tee zubereiten, frisch verwenden); im botanischen Teil sollten Eigenarten, Vegetationsperioden, Vorkommen der Pflanzen Erwähnung finden. Solche sich wiederholenden Formulierungen waren in diesen Abschnitten nicht nachweisbar.

Allerdings beachte man im Zusammenhang mit dem letzten Punkt:

Die Namen der Pflanzen. Beinahe jede Seite des pflanzenkundlichen Teils beginnt mit einem »Wort«, welches im ganzen Manuskript einmalig ist. Die Vermutung, dass es sich dabei um den Namen der abgebildeten »Pflanze« handeln könnte, ist nicht ganz abwegig.

Was ist das Voynich-Manuskript?

Wir haben beim Voynich-Manuskript den Augenschein der Illustrationen. Diese lassen vermuten, dass gesammeltes Wissen über Pflanzenkunde, Heilpflanzen, Astrologie, Kosmologie und einige schwer identifizierbare Themen niedergeschrieben wurde. Diese erste, naive Vermutung wird dann bei näherer Betrachtung immer fragwürdiger.

Trotz Jahrzehnte der Analyse ist die Antwort auf die Frage, um was es sich bei diesem Manuskript eigentlich handelt, immer noch im Dunkel. Und wo sich im Verlauf der Analyse die vielen Daten sammeln, aber keine befriedigende Antwort findet, da bilden sich Hypothesen. Jede dieser Hypothesen hat etwas für sich. Ich kann hier beim besten Willen nicht alle Hypothesen wiedergeben.

Hypothesen

Zu jeder der kurz — manchmal zu kurz — vorgestellten Hypothesen werde ich eine kleine Stellungnahme schreiben, die meine eigene Meinung wiedergibt. Alle diese Hypothesen werden so oder in leicht abgewandelten Formen wirklich vertreten, und sie werden viel besser begründet vertreten, als ich das in einem kurzen Abriss wiedergeben könnte. Wer sich für nähere Begründungen dieser Hypothesen interessiert, der sei auf das Internet verwiesen.

Das Manuskript ist ein verschlüsseltes Buch. Es enthält eine Sammlung von Texten, die aus irgendeinem Grunde im Geheimen gehalten werden mussten; sei es wegen der Inquisition, sei es aus politischen Gründen. Die ohnehin etwas lieblos ausgeführten Illustrationen haben nur die Funktion, von der wirklichen Bedeutung des Textes abzulenken, unter anderem sind auch die auffälligen »Bezeichner« sinnloses Gekrakel, was die abweichenden statistischen Eigenschaften erklärt.

Stellungnahme: Wenn das Manuskript verschlüsselt ist, dann kann es sich nicht um eine einfache Verschlüsselung handeln, diese wäre bereits geknackt worden. Bei allen bekannten komplexen Verfahren würden die beobachteten statistischen Eigenschaften der Sprache verloren gehen, der Text erhielte die ungefähren statistischen Eigenschaften einer zufälligen Zeichenfolge. So bliebe als nächste Möglichkeit eine aufwändige Verschlüsselung, bei der in einem zweiten Codierungsgang der codierte Text in einer Weise bearbeitet wird (etwa, indem er in bestimmte Zeichenhülsen integriert wird), welche die beobachteten, sehr verwirrenden Eigenschaften herstellt. Dagegen spricht jedoch, dass das gesamte Manuskript offenbar flüssig geschrieben wurde, ohne dass Unterbrechungen durch komplexere Verfahren sichtbar würden.

Das Manuskript ist genau das, was es zu sein scheint. Die abgebildeten Pflanzen existieren wirklich, können aber nicht identifiziert werden, da die Abbildungen in einer nicht leicht verständlichen Weise stilisiert sind. Dabei entstanden auch viele der sonderbaren Eigenschaften, die uns heute an den Pflanzen befremden. Der Text ist eine Niederschrift in einer Sprache, die heute ausgestorben ist oder in anderer Weise geschrieben wird. Die rätselhaften Dinge in einigen Illustrationen würden sich sofort klären, wenn wir imstande wären, den Text zu lesen; und wahrscheinlich wäre die Erklärung erschreckend banal.

Stellungnahme: Gut gedacht, aber warum sollte sich diese sehr auffällige Schreibweise nur in diesem einen einzigen Dokument erhalten haben, warum sollte damals kein Zeitgenosse diese Schriftart oder Sprache beschrieben haben? Das erscheint nur möglich, wenn die hypothetische Sprache von einer sehr kleinen Minderheit gesprochen wurde; dann fragt es sich allerdings, warum diese Minderheit ein eigenes, völlig einmaliges Schriftsystem entwickelt haben sollte, wo doch bewährte und bekannte phonetische Schriftsysteme in den Sprach- und Kulturräumen der Umgebung in Verwendung waren, deren (eventuell angepasste) Übernahme viel weniger Mühe als die Entwicklung eines eigenen Systemes bereitet hätte.

Das Manuskript ist ein mittelalterlicher »Fake«. Irgendein Quacksalber oder Alchimist hat es angefertigt, um seine zahlenden Klienten mit eine Quelle des »Geheimwissens« zu beeindrucken oder diese Quelle für viel Geld zu verkaufen. Die Motivation hierzu bestand in Habgier oder Geltungssucht.

Stellungnahme: Wenn es sich um einen »Fake« handelt, dann ist es ein wirklich guter geworden. Die statistischen Methoden, mit deren Hilfe die Eigenschaften des Textes ermittelt wurden, waren frühestens um 1550 einer Minderheit mathematisch gelehrter Personen bekannt, der Fälscher hätte weder die Möglichkeit gehabt, die hohe Qualität seiner Fälschung zu überprüfen noch hätte er die Möglichkeit gehabt, sie beim Anfertigen der Fälschung sicher zu stellen. Hätte der Fälscher Nonsens-Silben vor sich hin gesprochen und notiert, wäre ein Text mit völlig anderen Eigenschaften entstanden — ähnliches gilt für das automatische Schreiben. Was jedoch wirklich gegen die große Mühe spricht, ist die Tatsache, dass eine solche Mühe gar nicht nötig gewesen wäre; bis zur Verarbeitung im Computer wären viele Schwächen in einem »Fake« unentdeckt geblieben.

Alchimie. Gelegentlich wird die Auffassung vertreten, das Buch habe einen alchimistischen Hintergrund.

Stellungnahme: Im keiner Illustration des Manuskriptes wird die in der Alchimie so verbreitete Darstellung einer chemischen Reaktion als »chimische Hochzeit« aufgefunden, auch sonst zeigen die Illustrationen keinen Bezug zur Alchimie. Die Ähnlichkeit einige Symbole des Skriptes mit alchimistischen Symbolen ist nur oberflächlich, und der Gebrauch dieser Symbole weicht vom alchimistischen Gebrauch erheblich ab.

Kunstsprache. Das Manuskript ist in einer Kunstsprache geschrieben, diese wurde unter philosophischen oder künstlerischen Aspekten konstruiert. Die Sprache ist beispiellos und weist keine Verwandtschaft zu einer lebendigen Sprache ihrer Zeit auf.

Stellungnahme: Durchaus möglich. Die ungewöhnlich strenge und rigide »Grammatik« der einzelnen »Wörter« kann als Hinweis auf eine Kunstsprache verstanden werden, was immer auch zu einem solchen Sprachentwurf geführt haben mag. Die Sprachverwirrung war im Mittelalter genauso groß wie heute; und eine Idee wie Esperanto ist nicht so abwegig, dass sie nicht mehrfach gedacht worden sein kann. Allerdings verwendeten gebildete und geistliche Menschen jener Zeit Latein als kraftvolles Hilfsmittel zum Gedankenaustausch, so dass der Bedarf nach einer Kunstsprache nicht so groß war. Eine kleiner Anmerkung würdig ist es, dass ja auch viele der Pflanzen wirken, als seien sie relativ willkürlich aus Bestandteilen zusammengesetzt, die oft gar nicht passen wollen—warum sollte die verwendete Sprache nicht ebenso beschaffen sein? Ein Entzifferungversuch scheint unter diesen Gegebenheiten recht aussichtslos.

Die »chinesische Hypothese«. Die Sprache des Manuskriptes ist eine fernöstliche Sprache, mutmaßlich Chinesisch, die an sich in einer schwer handhabbaren Piktogramm-Schrift notiert würde. Der Schreiber war vermutlich ein Europäer (vielleicht ein Händler, Forscher oder Missionar), der die Verwendung des bronzezeitlichen chinesischen Schriftsystemes als sehr umständlich empfand und sich deshalb, wie aus dem europäischen Kulturkreis gewohnt, ein phonetisches Notationssystem ausdachte, welches den Eigentümlichkeiten dieser Sprache gerecht wurde. Wegen der außerordentlichen Feinheiten der Betonung erschien ihm eine Schreibweise in lateinischen Lettern unangemessen, die heute so verwirrenden Eigenschaften des Textes entstanden folglich aus dem Erfordernis, die phonetische Struktur des Chinesischen mit den verschiedenen »Tönen« zusammen zu notieren. Viele der Eigenschaften des Textes lassen sich im Chinesischen nachvollziehen, etwa die Wortwiederholung oder die häufige Wiederholung sehr ähnlicher (im Chinesischen fast durchgängig einsilbiger) Worte, die sich nur in Feinheiten der Intonation unterscheiden. Ferner würde sich der Mangel an deutlich identifizierbaren Wortarten (wie Verben, Adjektive, Hauptworte) und klar erkennbaren Sätzen unmittelbar aus der chinesischen Sprache erklären lassen, die keine Grammatik in unserem Sinne kennt. Was als »Grammatik« im Text des Manuskriptes sichtbar zu werden scheint, das sind Regelmäßigkeiten anderer Natur, die den besonderen Anforderungen des phonetischen Notierens entsprangen.

Stellungnahme: Eine sehr gute Hypothese, die auch durch Untersuchungen des Textes belegbar ist (die Ähnlichkeit zur phonetischen Struktur fernöstlicher Sprachen ist erkennbar) und vieles Befremdliche gut erklären kann. Für die Entzifferung des Textes wäre sie ein Albtraum. Es ist kein Zufall, dass sich angesichts der vielen chinesischen Dialekte niemals eine phonetische Schrift in China durchsetzen konnte; und wie die gesprochene Chinesische Sprache im Mittelalter klang, entzieht sich wegen des Fehlens phonetisch notierter Beispiele jeder Möglichkeit einer Rekonstruktion. Es ist auch klar, warum sich selbst ein ausgefeiltes und der Sprache gut angepasstes phonetisches System in China nicht erhalten konnte; es wäre für den schriftlichen Gedankenaustausch innnerhalb eines sehr heterogenen Sprachraumes nur hinderlich gewesen. Ein Punkt nur spricht gegen diese am Text orientierte Hypothese: Es gibt keine Illustrationen in typisch fernöstlicher Gestaltung mit entsprechenden Themen, ganz im Gegenteil, vieles wirkt sehr europäisch.

Die UFO-Hypothese. Das Buch ist außerirdischen Ursprungs und wurde einer Kontaktperson der Außerirdischen mitgeteilt, die es dann (vielleicht völlig unverstanden) niederschrieb oder abschrieb. Die dargestellten Dinge beziehen sich auf eine außerirdische Kultur, die sich uns mitteilte; dies ist auch der Grund für den »fremdartigen« Charakter des gesamtes Manuskriptes.

Stellungnahme: Eine außerirdische Kultur, deren Vertreter mithilfe eines UFOs bei uns landen, ein paar Spuren hinterlassen und sich dann in ihr UFO setzen, um spurlos zu verschwinden—damit lässt sich natürlich alles erklären, und deshalb erklärt es auch nichts. Aber selbst, wenn eine solche Erklärung ernst genommen wird, bleiben doch ein paar Einwände. Warum sollte eine von Außerirdischen verwendete Sprache so viel Ähnlichkeiten zu Sprachsystemen haben, die sich an Wahrnehmungsfähigkeit, Kognition und biologische Bedingungen der Menschen orientieren? Warum sollten die Bilder aus einer solchen Quelle so viel Ähnlichkeit zur Bildsprache des mittelalterlichen Europa haben? Die UFOnauten wollten sich uns mitteilen? Dann hätten sie es auch in einer Weise getan, dass uns eine Möglichkeit des Verständnisses bliebe. Wenn etwas von der außerirdischen Hypothese bleibt, dann vielleicht die Vermutung, es handele sich wohl um eine Art des Intelligenztests…

Offene Fragen

Trotz vieler Erkenntnis über die Struktur des Textes und der verwendeten »Sprache« überwiegen nach vielen Jahrzehnten der Forschung die offenen Fragen. Auch diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Wer hat dieses Manuskript verfasst?
  • Wo wurde dieses Manuskript verfasst?
  • Wann wurde es verfasst?
  • In welcher Sprache wurde es verfasst?
  • Handelt es sich um private Notizen, ist es ein Buch zur Weitergabe von Wissen an andere oder handelt es sich um religiöse Literatur?
  • Gab oder gibt es weitere Zeugnisse des im Manuskript verwendeten Stiles der Notation, der Illustration oder der Verschlüsselung?
  • Konnte jemals ein anderer Mensch als der Autor dieses Manuskript lesen?
  • Ist dieses Manuskript eine Abschrift (möglicherweise auch eine Übersetzung) eines anderen Manuskriptes, oder handelt es sich um ein Originalwerk des Autors?
  • Wer hat die Restaurationen an diesem Manuskript durchgeführt? Auf wessen Veranlassung geschah dieses?
  • Ist die befremdliche bildliche Ausdrucksform im biologischen Abschnitt wirklich ohne weitere Beispiele, oder gab es irgendwo in Europa eine Schule von Schreibern und Gestaltern, die diesen Stil der Illustration (vielleicht in einer von der Inquisition verfolgten und schließlich zerschlagenen, häretischen Religionsgemeinschaft) pflegte?
  • Sind die Illustrationen fantastische Entwürfe, oder bilden sie in einer (vielleicht stark stilisierten Form) natürliche oder erkenntnistheoretische Wirklichkeit ab.
  • Enthält das Manuskript sinnvollen, einer Interpretation zugänglichen Text, oder wurde es in einer ausgefeilten Kunstsprache geschrieben?
  • Wo sind die fehlenden Seiten des Manuskriptes? Wann wurden sie entfernt?

Bekannte Tatsachen

Bei dieser Fülle der Rätsel können immerhin einige Tatsachen als bekannt angenommen werden. Sie sind nur ein kleiner Beitrag zur Klärung der Rätsel. So wissen wir aufgrund einer Einsicht in das Manuskript etwas über den Autor:

  • Der Autor des Manuskriptes machte sich keine Mühe, ein gutes Layout herzustellen. Es wurden (außer in den kreisförmigen Diagrammes des astrologischen und kosmologischen Abschnittes) keine Linien für die Schrift vorgezeichnet, oft bleiben große Bereiche einer Seite frei. Man kann feststellen, dass ihm zumindest für dieses Manuskript das Layout gleichgültig war.
  • Der Autor des Manuskriptes hat offenbar gern nackte Frauen gezeichnet, der Stil seiner Zeichnungen ist dabei recht stereotyp. Übrigens sind einige seiner Frauen scheinbar ursprünglich ohne Brüste gezeichnet worden.
  • Der Autor des Manuskriptes legte vielfach eine auffallende Eile und Schlampigkeit, sowohl beim Schreiben als auch beim Zeichnen an den Tag, obwohl er sauber schreiben und durchaus gut mit einer Feder zeichnen konnte.

Dieses recht bescheidene Wissen könnte eine Hilfe dabei sein, eventuelle weitere Werke des gleichen Autors — hoffentlich in leicht verständlichen lateinischen Lettern — zu identifizieren, eine solche Identifikation müsste von einer eingehenden graphologischen Untersuchung bestätigt werden.

Sollte eine solche Identifikation jemals gelingen, so wäre zumindest der Urheber des Manuskriptes klar, der Ort und die Zeit der Entstehung würden deutlich eingegrenzt. Eventuell ergäben sich aus dem Studium weiterer Werke des gleichen Autors auch wichtige Fingerzeige, die einige der fremdartigen Elemente des Voynich-Manuskriptes klären helfen könnten.

Es ist nicht zu erwarten, dass jemals gezielt nach weiteren Handschriften dieses Autors gesucht wird, eine solche Suche wäre mit gigantischem Aufwand verbunden, dem eine nur zweifelhafte Aussicht auf Erfolg gegenübersteht; und das alles zur Klärung eines vermutlich recht unwichtigen Textes. Wer will sich da engagieren, vor allem, wenn es Zeit und Geld kostet?

Doch wer gelegentlich mit mittelalterlichen Manuskripten konfrontiert ist, kann durchaus seine Augen offen halten. Nichts spricht gegen die Möglichkeit eines Glückstreffers.

Abschließendes

Wahrscheinlich steht im Voynich-Manuskript nicht, wo sich der heilige Gral befindet — auch wenn es in einem der »Indiana Jones«-Filme genau diese Information preisgab. Wahrscheinlich enthält es auch keinen Text, der für das Verständnis des Mittelalters einen nennenswerten Fortschritt bringt. Warum sich also mit diesem Buch beschäftigen?

Nun, es ist da! Es ist als elegant und schwungvoll geschriebenes Rätsel mit seinem gebieterischen Dasein in der Bibliothek einer Universität eingelagert, es ist in jeder Weise ungewöhnlich, und ich finde es zudem auch schön, vermutlich nur wegen seiner außenseiterhaft anmutenden Einzigartigkeit.

Gäbe es hunderte der Manuskripte von Voynich-Typus, schnell und schlampig geschrieben, überwiegend grob gezeichnet und völlig unlesbar, so wäre es immer noch ein großes Rätsel, es stünden nur mehr Daten für die Lösung des Rätsels zur Verfügung. Das Gefühl von Schönheit würde ich aber kaum empfinden, die Beschäftigung mit dem Thema überließe ich getrost Vollzeit-Experten der mittelalterlichen Geschichte. Es gibt wirklich schönere Handschriften, überaus kunstvoll gezeichnete Bibeln, Gebetbücher, Evangeliare und Heldengeschichten voll feinen Zierrats, wahre Meisterwerke in Buchform, die großen Respekt gegenüber ihren meist unbekannten, sehr kunstfertigen Schreibern einfordern.

Ich bin selbst ein gesellschaftlicher Außenseiter — ohne dass ich dies hier näher ausführen möchte —, und eben darum zieht mich dieses Werk eines Menschen an, welches schon durch seine hier kurz gestreifte Einzigartigkeit zeigt, dass dieser Mensch wohl ebenfalls ein Außenseiter war. Das ist ziemlich irrational, es ist ein Fühlen von geistiger Verwandtschaft über die trüben Wasser der Jahrhunderte hinweg. Nur aus diesem irrationalen Antrieb heraus erwächst meine Motivation, mich damit zu beschäftigen.

Ich glaube inzwischen nicht mehr, dass eine Lösung des Rätsels möglich ist. Nicht etwa, weil es sich um einen »unknackbaren Code« handeln könnte, ausgedacht von einem begabten Kryptologen des späteren Mittelalters. Der Code kann nicht besonders stark sein, da durch seine Fassade zu viele offenbar sprachliche Eigenschaften hindurchschimmern. Nein, das größte Problem scheint mir unsere Unkenntnis der verwendeten Sprache zu sein; und dieser Unkenntnis kann nicht aus dem Manuskript allein abgeholfen werden, hierzu bedarf es weiterer Informationen. Leider kann ich die benötigten Informationen nicht mit meinen kleinen Programmen beschaffen, damit kann ich nur die Transkriptionen durchgurgeln.

Aber ich glaube, dass die Suche nach einer Lösung lohnt. Und so mache ich trotz meines Unglaubens weiter, wann immer ich eine Idee habe. Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass nur eine einzige gute Idee zur Lösung fehlt, und eine solche gute Idee kann jeder bekommen, der sich mit dem Voynich-Manuskript beschäftigt.

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Datum: Dienstag, 25. Juli 2006 1:25
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Ein Kommentar

  1. 1

    […] Mein Einführungstext steht jetzt als Seite in diesem Blog zur Verfügung. Er wurde für diese Verwendung etwas gekürzt, deshalb habe ich die ungekürzte Version zum freien Download zur Verfügung gestellt. […]