Wie klingt das Manuskript?
Ich vertrete ja schon länger die These, dass einer der Gründe, weshalb das Voynich-Manuskript jedem Versuch trotzt, ihm einen ursprünglichen Text zu entreißen, darin liegt, dass es gar keinen »Text« im gewöhnlichen Sinne des Wortes geben könnte. Eine meiner frühen Ideen, die ich niemals weiter verfogte, war, dass es sich um eine Form der musikalischen Notation handeln könne; diese könnte durchaus starke Muster und Regelmäßigkeiten aufweisen. Auch könnten sich auf durch diese These die momentan noch rätselhaften zwei »Sprachen« im Manuskript erklären, sie wären schlicht die beiden Tongeschlechter Dur und Moll.
Nun hat Berj Ensanian ein erstes Experiment angestellt, das Manuskript als Musik zu interpretieren und seine Ergebnisse der englischen Mailingliste und auf seiner Website mitgeteilt. Die folgende, auszugsweise Übelsetzung seiner Mitteilung in der Mailingliste ist von mir, die Links auf erläuterndes Material habe ebenfalls ich hinzugefügt:
Ich zwei Audiodateien im MP3-Format zum Download und Anhören zur Verfügung gestellt. Du kannst diesen Audiodateien lauschen und sie mit den ersten Absätzen der Seite f20r des Manuskriptes (ein pflanzenkundlicher Text in Currier-Sprache A) und der Seite f95r2 (pflanzenkundlich in Currier-Sprache B) vergleichen. Es handelt sich um eine experimentelle Transkription in Musik. Jedes Stück dauert ungefähr eine Minute. Eine vollständige, in die Einzelheiten gehende Beschreibung dieser Übertragung und der Einschränkungen dieses Experimentes sind verfügbar. […]
Der präzise Bericht erläutert die Vorgehensweise recht ausführlich. Interessant ist des abschließende Urteil über den Höreindruck (die Übelsetzung ist wieder von mir, die direkten Links auf die MP3-Dateien sind meine Ergänzung):
[…] Und schließlich ein paar Eindrücke von der Gegenüberstellung von f20r mit f95r2: Die Umsetzung von f20r hört sich für meine Ohren erstaunlich gut an. Ich wäre nicht überrascht, so etwas zu hören, wenn jemand entspannt auf seinem Klavier improvisiert. Allerdings klingt die Umsetzung von f95r2 für mich sehr anders. Im Gegensatz zu f20r scheinen sich dort die Zeilen stärker voneinander zu unterscheiden. Vielleicht sind die Zeilen in f95r2 in alternierenden Schreibrichtungen [engl. Wort hier: »boustrophedon«, meine Anmerkung] geschrieben, so dass ihre Musik besser klingt, wenn man das berücksichtigt – ich werde das noch untersuchen. So wie ich es transkribiert habe, ist der Höreindruck zwar nicht schrecklich, aber die musikalische Umsetzung der Seite f95r2 erinnert mich an zufällige Einsprengsel von Daten in einen digitalen Datenstrom, was zuweilen eine Kakophonie ergibt. Verglichen mit f20r, klingt in f95r2 weniger ein musikalisches Thema, weniger innere Ordnung, es klingt ein bisschen, als würde ein unerfahrener Musiker versuchen, ein Stück zu komponieren, dessen Komplexität seine Fähigkeiten übersteigt. Im Gegensatz dazu klingt die Currier-Sprache A der Seite f20r so, als wäre sie von einem verbindenden musikalischen Thema getragen. Vielleicht ist es dieses Muster, das zu der Erwägung führt, dass die Currier-Sprache A näher bei den Mustern einer natürlichen Sprache liegt als die Currier-Sprache B.
Ein wirklich hochinteressantes Experiment.
Montag, 25. Februar 2008 11:10
Du hast bestimmt schon dran gedacht, aber ich schreib’s trotzdem auf:
Die Textanalysen, die Du an dem Text vorgenommen hast, um ihn mit Texten aus bekannten Sprachen zu vergleichen – wie wäre es, wenn Du einen solchen Vergleich mit entsprechenden Analysen von Musikstücken durchführst?
Man könnte Häufigkeiten von Noten und Tonlängen sowie die musikalische Entropie messen und mit Metriken des Voynich-Manuskripts vergleichen. Das könnte sogar Hinweise darauf liefern, wie der Text musikalisch zu interpretieren ist. (Was steht für die Tonhöhe, und was für die Tondauer?)
Sollte doch eigentlich so schwer nicht sein. Du solltest Dich vielleicht auf eine Auswahl von Musikstücken beschränken, die aus der Zeit stammen, in der das Manuskript vermutlich verfasst wurde.
Wenn ich weiter darüber nachdenke, versuche ich, die Bilder musikalisch zu interpretieren. Spontan fallen mir Vergleiche zu Instrumenten ein – Blütenblätter könnten Orgelpfeifen sein, Wurzeln könnten für Register stehen. Da kann man selbstverständlich beliebig viel interpretieren.
Intuitiv würde ich annehmen, dass »normale« Musikstücke sehr viel mehr Regelmäßigkeit und Wiederholung aufweisen als der Text des Voynich-Manuskript. Aber eine genauere Analyse wäre bestimmt notwendig.