Gerard Cheshire »liest« das Voynich-Manuskript
Wie die Neue Zürcher Zeitung vermeldet [Archivversion], ist es einmal mehr jemanden gelungen, das »verdammte Manuskript« zu »lesen«:
Der an der University of Bristol tätige Romanist Gerard Cheshire glaubt, das Rätsel gelöst zu haben. In einem Beitrag der Fachzeitschrift «Romance Studies» legt er eine neue Interpretation des Texts vor. Der kurz vor der Mitte des 15. Jahrhunderts entstandene Text ist seiner Ansicht nach auf Protoromanisch geschrieben, eine untergegangene Sprache, die Vulgärlatein mit Elementen verschiedener anderer Sprachen mischt, die im Frühmittelalter im Mittelmeerraum gesprochen wurden
Protoromaisch, als eine Sprache, die ein verschliffenes, volkstümliches Latein mit nicht genannten lokalen Sprachen mischt, lässt schon einmal viel Raum für kreative Interpretationen. Vor allem, wenn es von dieser postulierten Sprache keinerlei andere, vielleicht sogar in gebräuchlicheren lateinischen Buchstaben geschriebenen Textzeugen gibt und wenn diese Lokalsprachen keine anderen Spuren in den Vulgärsprachen hinterlassen haben.
Es wirkt unwahrscheinlich, dass es von einer Sprache, die immerhin in ihrer Zeit als »würdig« und allgemeinverständlich genug empfunden wurde, ein derartiges Kompendium darin niederzuschreiben und sogar ein eigenes Alfabet für diese Niederschrift zu ersinnen, keinerlei weitere Texte geben soll.
Doch das ist nicht das einzige Problem: Ärgerlicherweise wird die Deutung des Manuskriptes als eine direkt notierte, natürliche Sprache für sich allein kaum die Strukturen innerhalb einer Seite und die Strukturen innerhalb einer Zeile erklären können, wenn es sich nicht gerade um lyrischen Text handelt. Die Vorstellung, dass es sich beim Voynich-Manuskript…
Laut Gerard Cheshire ist das Voynich-Manuskript ein Lehrbuch der Heilpflanzen und der Bäderkunde und enthält daneben astrologische Erörterungen zu verschiedenen Fragen des menschlichen Körpers, der Fortpflanzung und der Kindererziehung
…um ein Kompendium der Medizin, Wissenschaft und Philosophie des späten Mittelalters handelt, passt zwar relativ gut zum Anschein der Illustrationen, ist aber völlig inkompatibel zu scheinbaren Fließtextzeilen, deren Wortlängen zum Ende der Zeile hin kürzer werden – was übrigens keineswegs nur für das letzte Wort einer Zeile gilt, das ja tendenziell häufiger abgekürzt sein könnte, um es noch in die beim Schreiben eng werdende Zeile einzupassen.
Ein auch nur kurzes Textbeispiel der »Lesung« von Gerard Cheshire wurde von der Neuen Zürcher Zeitung leider nicht mitgeteilt.
via Brightsblog