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Das »biologische« Paradox

Mittwoch, 11. März 2009 6:01

Mit dem so genannten »biologischen« Teil – der Name spiegelt vor allem wider, dass sich nicht leicht ein trefflicher Name für die Illustrationen auf diesen Seiten finden lässt – verbindet sich eine sehr seltsame und in meinen Augen viel zu wenig gewürdigte Tatsache, auf die ich hier etwas breiter eingehen werde.

Illustrationen aus dem biologischen TeilDas »biologische« Paradox

Die Illustrationen dieses Teiles sind wirklich einmalig. Sie erinnern in ihrer Abstraktheit an nichts, was ich jemals irgendwo anders gesehen hätte. Dieses Befremden befällt nicht nur mich, sondern scheinbar jeden, der das Manuskript zum ersten Male sieht.

Die vielfach verzweigten Ströme blauer und manchmal grüner Flüssigkeit; die untereinander verbundenen Systeme von Röhren und Sitzbadewannen, die in ihrer Formgebung manchmal an tierische oder menschliche Organe erinnern (daher auch der etwas hilflose Name »biologisch« für diesen Teil); die darin herumtollenden Nymphen, die übrigens recht stereotyp gezeichnet sind: Alles das will nicht in das späte Mittelalter passen, es ist beispiellos, wirkt beinahe außerirdisch. So lange wir den Text des Manuskriptes nicht lesen können, werden wir wohl niemals verstehen, was sich der Illustrator bei diesen Zeichnungen gedacht hat.

Als ich vor einigen Jahren auf das Voynich-Manuskript stieß, war es die stark verkleinerte und schwarz-weiße Wiedergabe einer Seite aus dem »biologischen« Teil, die mich fasziniert und auf der Stelle gefesselt hatte. Wenn ich doch nur gewusst hätte, in welches Labyrinth ich dabei geraten würde!

Mein spontaner Gedanke war, dass es sich beim Manuskript um eine moderne Fälschung handeln müsse, so unglaublich erschienen mir diese Illustrationen selbst noch in einer schäbigen Wiedergabe. Und als ich später wesentlich bessere Reproduktionen sah, fand ich das alles nur umso unglaublicher.

Diese Formensprache ist eine Wucht! Selbst, wenn sich der Text einmal als mittelalterliche Fälschung eines Quacksalbers entpuppen sollte – ich glaube das übrigens nicht, aber halte es für durchaus möglich, dass sich kein »Inhalt« im üblichen Sinne in diesem Text finden lässt – bleibt das Manuskript allein wegen dieser Handvoll manchmal ungelenkt illustrierter Seiten im »biologischen« Teil ein beeindruckendes Werk, eine beispiellose, künstlerische Leistung.

Die vielen, rätselhaften Pflanzen, die auch gern einmal als Beispiele für die Illustrationen abgebildet werden, sie sehen nicht anders aus als die typischen Darstellungen in jedem anderen Herbarium des 15. und 16. Jahrhunderts. Sie erwecken zunächst keinen Verdacht, dass sich in ihnen ein Problem verbergen könne, dieser Verdacht kommt erst auf, wenn Fachleute daran scheitern, diese Pflanzen zu identifizieren. (Schade, denn das hätte vielleicht einen Hinweis auf den Inhalt des Textes gegeben.)

Die »kosmologischen« Diagramme entsprechen im Großen und Ganzen anderen mittelalterlichen Konzepten, die in graphischer Gestalt aufbereitet wurden. Dass diese Konzepte in ihrer abstrakten Darstellung unverständlich bleiben, ist gar nicht so verwunderlich. Der »Tierkreis« ist ebenfalls recht rätselhaft und will gar nicht in die mittelalterliche Astrologie mit ihrer starken Betonung des Mondes passen, aber er erweckt nicht einen Moment lang beim arglosen Betrachten den Eindruck, dass hier etwas vollkommen Fremdes vorliegen könnte. Eine Bekannte, die sich lange mit mittelalterlicher Astrologie beschäftigt hat, sah allerdings auch darin etwas völlig Unerwartetes, für sie nicht mehr Verständliches.

Ganz anders der »biologische« Teil. Hier wird beinahe jedem Menschen durch bloßes Hinschauen klar, dass etwas daran »nicht stimmt«. Es ist aber gar nicht so leicht, in Worten auszudrücken, was genau dieses Unstimmige ist. An keiner anderen Stelle wirkt das Manuskript so phantastisch.

Wenn man die Illustrationen betrachtet.

Der Text im »biologischen« Teil ist nämlich das genaue Gegenteil. Genau in jener Sektion des Manuskriptes, in der sich eine einmalige, sehr schwer deutbare und facettenreiche Formensprache entfaltet, wird der Text beinahe monoton. Das ist das Paradoxe am »biologischen« Teil des Voynich-Manuskriptes, und es verdient meiner Meinung nach eine viel größere Beachtung.

An keiner anderen Stelle des Manuskriptes ist der Text so redundant wie im »biologischen« Teil. Hier gibt es monotone Wortwiederholungen oder aufeinander folgende Wörter mit nur geringen Abweichungen mit ermüdender Regelmäßigkeit; hier sind die Wörter auch besonders einfach gebildet, so dass fast das gesamte Endungssystem in »-dy« zusammen fällt. Die schon einfach gebildeten Wörter der Currier-Sprache B sind im »biologischen« Teil in ihren möglichen Formenraum noch weiter eingeschränkt.

Die Redundanz des Textes ist so beachtenswert hoch, dass sie sogar schon beim Betrachten der graphischen Reproduktion einer Seite ins Auge fällt. Auf eine Worttrennung folgt sehr häufig ein »q«, an das sich meist ein »o« anschließt. Nach diesem sehr häufigen »qo« kommt recht häufig ein »k«, und die Glyphenfolge »ok« wird beinahe immer von einem »e« gefolgt. Wenn ein Wort nicht mit »qo« beginnt, beginnt es zumeist mit »ch« oder »sh« (oft auch mit eingebettetem Gallow), worauf auch recht regelmäßig ein »e« folgt. Der Eindruck, den der dabei entstehende Text hinterlässt…

qokeey dar shedy qokedy qokeedy qokedy chedy okai n chey qokedy dar olar dy tor shedy tedy rol ol cheol shedy shckhy qokal olkedy pchol cphol sol teol tedy qotedy qokeedy qokeey ol keedy tey qokedy qopor oly

…ist, obwohl man den Glyphen keine Lautwerte zuordnen möchte, der Eindruck eines monotonen, hypnotischen Singsangs, der nur gelegentlich von eingesprenkelten »dar«, »tor« oder »kal« unterbrochen wird. (Als typisches Beispiel sind hier die Zeilen drei bis fünf der Seite f84r gewählt worden.)

Die Nymphe otchdy an einer seltsamen Vorrichtung, die aus vielen Rohren Wasser fließen lässtAusgerechnet in jenem Passus des Manuskriptes, in dem die Illustrationen wirklich erschreckend, fremd und formenreich geworden sind, verkommt der Text scheinbar zu einer Wüste der weit gehenden Bedeutungsleere, zu einem Gemurmel von Zaubersprüchen, die alle sehr ähnlich zu klingen scheinen. Tatsächlich ist dabei der Erwartungswert eines Zeichens in der EVA-Transkription dermaßen hoch geworden, dass ein solches Zeichen nur noch einen Informationsgehalt von ungefähr einem Bit zu haben scheint.

Was das zu bedeuten hat, kann ich auch nicht sagen. Ich werde allerdings im Folgenden noch eröffnen, was ich langsam zu glauben beginne… 😉

Selbst, wenn man sich keinen Reim darauf machen kann: Es ist eine wichtige Eigenschaft des Manuskriptes, die viel zu selten beachtet wird. Auch wenn sich der Text als »bedeutungslos« im Sinne eines »Inhaltes« in modernen Begrifflichkeiten erweisen sollte – ich weiß übrigens nicht, wie sich so etwas nachweisen ließe – bleibt diese Eigenschaft bedeutsam und wichtig.

Was ich glaube (jetzt wird spekuliert!)

Nach dieser sehr wortreichen Darlegung ein bisschen Spekulation zum Thema – ich will versuchen, diese Spekulationen so darzulegen, dass sie einer Untersuchung (und damit vielleicht einer Widerlegung) zugänglich sind, obwohl ich selbst diese Untersuchung nicht durchführen kann. Ich hoffe, dass einer meiner Leser irgendwann die Möglichkeit hierzu findet.

(Wenn jemand diese Gedanken kurz in Englisch formulieren und der englischsprachigen Mailingliste mitteilen könnte, wäre ich dafür auch sehr dankbar, denn ich habe im Moment wegen außerordentlicher, persönlicher Schwierigkeiten einfach nicht die Zeit dazu. Ich bringe diesen Text mit der Brechstange ins Internet, weil es mich einfach drängt. Es wird mindestens einige Monate dauern, bis ich die Muße finde, die wesentlichen Punkte dieses Textes in die englische Sprache zu übersetzen; und ich befürchte, dass es aus meiner Feder keine besonders gute und schon gar nicht eine unmissverständliche Übersetzung wird. Aber besser als die automatische Übersetzung von Google oder vom Babelfish wird es in jedem Fall…)

Die Tatsache, dass das Manuskript nun schon hundert Jahre lang von teilweise sehr begabten Kryptanalytikern erforscht wurde, ohne dass das darin verborgene Rätsel auch nur ansatzweise einer Lösung näher gebracht wurde, ist in meinen Augen ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Annahmen dieser Herangehensweise wenigstens teilweise falsch gewesen sein könnten. Es empfiehlt sich also, einen offenen Geist für andere Hypothesen zu behalten, ohne das große und mühsame Werk der Pioniere gering zu schätzen. Ohne diese Vorarbeit wüssten wir nichts über die Eigenschaften des Textes.

Die bisherigen Hypothesen lauteten sinngemäß: Der Text des Manuskriptes ist entweder eine verschlüsselte Mitteilung in einer europäischen Sprache, der Klartext dieser Mitteilung ist wiederherzustellen und zu verstehen; oder aber es handelt sich um eine relativ direkte Niederschrift in einer noch unidentifizierten Sprache, die zu identifizieren, zu lesen und zu übersetzen ist (was durchaus eine Sisyphosarbeit werden kann). Der uns unbekannte Autor des Manuskriptes hat den Text geschrieben, um eine Mitteilung für andere Menschen zu erstellen oder um Notizen für sich selbst anzufertigen. Der gesamte Vorgang entspricht heutigen Maßstäben wissenschaftlicher Vernunft und Ökonomie, ein kryptologischer oder sprachwissenschaftlicher Angriff auf das Rätsel verspricht also Erfolg.

Nun, diese bisherige Hypothese langweilt seit hundert Jahren durch das Scheitern jedes Ansatzes, und wenn man einen Blick in das Manuskript wirft, findet man das auch gar nicht mehr so verwunderlich… 😉

Denn es gibt vieles, was diesen Hypothesen widerspricht.

Zunächst fällt auf, dass die Illustrationen des Manuskriptes nicht ökonomisch und vernünftig sind. Schon der pflanzenkundliche Teil stellt Gewächse dar, die anhand der Zeichnungen selbst für Fachleute nicht identifizierbar sind, dabei gibt es einen besonderen Hang des Zeichners zu obskuren und biologisch sinnlosen Gestaltmerkmalen. Doch auch der Text fügt sich nicht in diese Hypothesen, da er zwei ineinander widersprüchliche Annahmen in gleicher Weise stützt. Zum einen stützt er die Annahme einer komplexen Verschlüsselung, da keine einfache Abbildung von lateinischen oder griechischen Buchstaben auf die Glyphen zu einem lesbaren Klartext führt. Zum anderen stützt der Text aber auch die Annahme einer direkt auf Pergament gebrachten, aber unbekannten Sprache, da die Glyphenfolge des Manuskriptes viele Eigenschaften einer »richtigen« Sprache aufweist und sogar sinnvoll in mögliche Konsonanten und Vokale eingeteilt werden kann, allerdings ohne, dass diese »Sprache« identifiziert werden könnte. Jede komplexe Verschlüsselung würde solche Eigenschaften – deren Existenz erst im Computerzeitalter sicher belegt wurde – zerstören.

Eine weitere Hypothese, die unter »Voynichologen« aus verständlichen Gründen etwas unbeliebt ist, ist die Annahme einer Fälschung. Eine solche Fälschung enthält keinen sinnvollen Text, soll aber den Eindruck eines sinnvollen Textes erwecken, um für das gefälschte Werk einen Preis zu erzielen oder um mit dem gefälschten Werk Menschen zu beeindrucken – in jedem Fall sollen andere Menschen mit einer Fälschung in die Irre geführt werden. Dabei ist zwischen der Annahme einer modernen Fälschung und der Annahme einer mittelalterlichen Fälschung zu unterscheiden.

Die Annahme einer modernen Fälschung lässt sich leicht behandeln. Diese Fälschung wäre mit riesigem finanziellem und zeitlichem Aufwand erstellt worden, es wären Spuren von drei historischen Restaurationen des Manuskriptes in die Fälschung eingearbeitet worden. Zudem wäre der gefälschte Text in einer Weise erstellt worden, die auch noch mindestens 100 Jahre später eine computergestützte Kryptanalyse und eine Schar sachkundiger Forscher zum Narren hält – das erfordert doch sehr viel Sachkenntnis und vorausschauendes Arbeiten beim Anfertigen der Fälschung. Um vor mindestens 100 Jahren einem Käufer gegenüber einen hohen Preis für den Betrug zu erzielen, wäre ein viel geringerer Aufwand hinreichend gewesen. Es gibt keinen vernünftigen Grund, dann eine Fälschung mit hohem Aufwand anzufertigen. Da hätte der Betrüger auch gleich arbeiten gehen können… 😉

Das letztere Argument eines übertrieben hohen Aufwandes begegnet auch der Annahme einer historischen Fälschung, hier sogar noch zwingender. Niemand hätte in der frühen Neuzeit oder im Mittelalter auf Eigenschaften der Glyphenfolge geachtet, die sich erst in der Gegenwart erkennen lassen. Um als Quacksalber zu blenden oder einem Sammler des späten Mittelalters das Geld aus der Tasche zu ziehen, wäre auch ein wesentlich einfacheres »Gekrakel« ausreichend gewesen – und einem solchen »Gekrakel« gegenüber hätte Gordon Rugg auch nicht mit so harten Geschützen auffahren müssen, um Indizien für eine Fälschung zu erhalten. Im Gegensatz zur Vorgehensweise bei einer relativ aufwändigen Fälschung wirkt jedoch das gesamte Schriftbild sehr flüssig und liefert nicht das geringste Indiz dafür, dass nebenbei Operationen mit vorbereiteten Hilfsmitteln durchgeführt wurden.

Ich habe den Eindruck, dass die meisten »Voynichologen« nur die beiden Möglichkeiten »Fälschung« oder »herkömmliche Hypothesen« in Betracht ziehen – und natürlich geneigt sind, die Annahme einer Fälschung zu verwerfen.

Es könnte aber noch eine dritte Möglichkeit geben, und diese hätte zur Folge, dass niemals jemand eine Chance hätte, das Manuskript zu lesen, obwohl es sich nicht zwangsläufig um eine vorsätzliche Fälschung handeln muss. Diese Möglichkeit will ich kurz vorstellen, gefolgt von ersten (und wohl eher stümperhaften) Ansätzen, wie man diese Möglichkeit untersuchen könnte.

Entstehung in psychologischer Rückkopplung

Eine unter parapsychologisch Gläubigen manchmal angewendete Technik ist das automatische Schreiben, also das Anfertigen von Schriftstücken unter Umgehung des Bewusstseins, das im Alltag Sprache und Schrift formt. Auch das Voynich-Manuskript könnte auf diese Weise entstanden sein. Angesichts des Erscheinungsbildes würde ich die folgende Hypothese wagen:

  1. Bevor die erste Seite Text entstanden ist, war der verwendete Glyphenvorrat beim Autor schon »fertig«. Ein Großteil dieses Glyphenvorrates fügt sich zwanglos in die damals üblichen Handschriften und in die gängigen Abkürzungen jener Zeit, selbst die ungefähre Form der Gallows ist nicht so ungewöhnlich. Die Autoren waren gewiss mit der Erscheinungsform von Schrift vertraut, bevor sie anfingen.
  2. Die Erstellung einer Seite beginnt damit, dass der Zeichner (es muss nicht der Autor sein) die Illustration einer Seite wenigstens in Umrissen erstellt.
  3. Der Autor des Textes lässt diese Illustration auf sich wirken, und zwar in einer Form, in der er den bewussten sprachlichen Ausdruck des Gesehenen vermeidet. Seine unbewussten Eindrücke führen im automatischen Schreiben zu teilbewussten Bewegungen der Hand, die den Text des Manuskriptes formen. Der Autor »sieht sich dabei zu«, nimmt das Geschriebene wahr und erlebt sich durchaus als einen Schreibenden, obwohl er nicht zu sagen weiß, was er schreibt. Dabei kommt es zu einer psychologischen Rückkopplung, die auch Muster im Text hervorbringt. Insbesondere halte ich es für möglich, dass die auffälligen Verteilungen der Wörter in einer Zeile und über die Seiten in einem solchen Prozess unwillkürlich entstehen können.
  4. Der Schreiber reagiert auf sein eigenes Schreiben, hat die Tendenz, zum Ende oder zu einer Unterbrechung der Zeile durch eine Illustration kurze und besondere Wörter zu benutzen und die Glyphen zu drängen. So sieht zumindest so manche Seite im Manuskript aus.
  5. Abschließend wird die Colorierung vorgenommen. Da manchmal die Farbe Text überdeckt, scheint mir dies erst nach dem Schreiben des Textes wahrscheinlich. Es kann aber auch sein, dass das Werk ursprünglich uncoloriert war und die Farbe bei einer späteren Restauration hinzugefügt wurde.
  6. Der Zeichner und der Autor müssen keinen verschiedenen Personen gewesen sein. Ich gehe aber angesichts der beiden Currier-Sprachen davon aus, dass in jedem Fall zwei Personen beteiligt waren, in deren Unbewusstem sich bei der Anfertigung des Manuskriptes ein überpersonaler Prozess entfaltet haben könnte.

Übrigens ist die Annahme, dass das Manuskript frei von psychischer Krankheit, religiöser Voreingenommenheit, blinder Wundergläubigkeit oder gar langjährigem Drogenabusus entstanden sein soll, nur eine völlig unbelegte Annahme. Als sicher sollte hingegen wegen der gebieterischen Einmaligkeit des Voynich-Manuskriptes gelten, dass der Autor oder die Autoren gesellschaftliche Außenseiter, Sonderlinge ihrer Zeit waren. (Und damit meine Brüder und Schwestern über den trüben Fluss der Jahrhunderte hinweg, denn auch ich bin ein gesellschaftlicher Außenseiter, ein Sonderling meiner Zeit – und leide darunter.)

Wie plausibel ist das?

Ein unbewusster oder teilbewusster psychologischer Prozess, der den Text des Manuskriptes hervorbringt, scheint mir inzwischen wahrscheinlicher als alle ins Nichts führenden Ideen einer genialen mittelalterlichen Verschlüsselung oder einer fernöstlichen Sprache. (Letztere passt überhaupt nicht zu den Illustrationen, die keinen Hauch Fernost enthalten.) Angesichts der Erscheinung des Manuskriptes bin ich mir sicher, dass bei der Niederschrift keine Hilfsmittel außer der Feder und der Tinte verwendet wurden.

Übrigens muss eine solche Entstehung nicht unbedingt mit der Absicht eines Betruges verbunden sein. Der Schreiber kann dabei durchaus im ehrlichen Glauben sein, eine Botschaft offenbart zu kriegen, obwohl sich nur Teile seines Unbewussten in diesem Vorgang äußern. Wenn man gewisse – aus einer Vielzahl von Gründen scharf umstrittene – Annahmen der Parapsychologie nicht vollends verwerfen will, kann man sogar davon sprechen, dass der Autor seinen Text als Offenbarung empfangen hat. Subjektiv, aus der Sicht des Autors, könnte dies der erlebten Wirklichkeit entsprechen. Dieser Vorgang kann sogar eine erhebliche persönliche Bedeutung für den Autor gehabt haben. Wie so manche andere »Botschaft« aus parapsychologischem Kontext hat aber auch dieses psychische Material unserem Bewusstsein nur wenig zu sagen – 100 Jahre Scheitern beim Versuch des Verstehens legen Zeugnis davon ab.

Was hat das mit dem »biologischen« Paradox zu tun?

Auslöser und wahrnehmbarer Anker für die unbewusste, psychische Rückkopplung des von mir postulierten »automatischen Schreibens« ist die anfangs erstellte Illustration. Dort, wo die Illustrationen noch Ähnlichkeiten zu den Erscheinungen des Alltags, etwa zu den Pflanzen oder zu verbreiteten fliegenden Blättern mit astrologischen und kosmologischen Themenkreis hatten, entstand zwangsläufig ein Strom von Assoziationen, der die beobachtete »sprachliche« Formenvielfalt des größten Teiles des Manuskriptes hervorbrachte. Ich vermute, dass im abschließenden Teil ursprünglich 365 Punkte geschrieben wurden, für jeden Tag des Jahres einer – und dass auch so ein sinnlicher Anker für den Prozess gegeben war. Die abstrakten und beispiellosen Illustrationen des »biologischen« Teiles lösten jedoch nur noch ein ungezieltes Rauschen aus, sie produzierten in der Folge eine offensichtlich stümmelige und redundante »Sprache«.

(Ja, ich weiß, auf wie dünnem Boden ich mich mit diesen Annahmen bewege. Ich formuliere und veröffentliche diese in voller Absicht in einem eher unreifen Stadium und hoffe, dass Widerspruch und vielleicht auch Bestätigungen aus der experimentellen Psychologie nicht ausbleiben.)

Ist das beweisbar?

Nur eine Zeitmaschine würde es möglich machen, diese Hypothese zu beweisen. Und auch das nur, wenn wir den Autor ausfindig machen könnten, was vielleicht ein hoffnungsloses Unterfangen ist.

Allerdings kann man versuchen, stützende und widersprechende Belege für die Möglichkeit dieser Hypothese zu finden – diese beweisen gar nichts, sondern lassen »nur« einen Bereich der Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die Hypothese zutreffen könnte. Die gleiche Möglichkeit einer abgeschätzten Wahrscheinlichkeit steht für die anderen Hypothesen offen, die damit vergleichbar werden.

Natürlich ist mir bewusst, dass jeder die Wahrscheinlichkeiten anders vergeben wird. In meinen Augen ist zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einzelner des Mittelalters einen leicht anwendbaren, aber unentzifferbaren Code entwickelt hat, der allen Angriffen heutigen technischen Standes widersteht und dass zudem diese Großtat des menschlichen Geistes nicht sofort eine militärische (und historische Spuren hinterlassene) Nutzung gefunden hat, nahe Null. Etwas wahrscheinlicher erscheint es mir da schon, dass wir es mit einer Aufzeichnung in einer heute ausgestorbenen Sprache Europas zu tun haben. Verwunderlich ist es aber schon, dass diese Sprache so ungewöhnliche Eigenschaften hatte (das könnte man aber auch noch über die unzweifelhaft existierende baskische Sprache sagen) und sich nicht des allgegenwärtigen lateinischen, des verbreiteten kyrillischen oder des ebenfalls möglichen arabischen oder griechischen Alphabetes für ihr Schriftsystem bediente, sondern ein eigenes entwickelte, das nirgends eine historische Erwähnung fand oder eine deutliche Spur hinterließ. Diese Wahrscheinlichkeit ist zwar größer als Null, aber nicht viel…

Aber womit stützt man die Wahrscheinlichkeit für die Annahme eines skurillen, vielen Menschen geradezu absurd erscheinenden psychologischen Mechanismus?

Am besten mit Beispielen.

Eine Botschaft in der Sprache der MarsbewohnerIm Jahre 1891 wurde das Medium Hélène Smith von Theodore Flournoy, einem Psychologen, untersucht. Grund für die Untersuchung waren ihre postulierten Fähigkeiten, die Zukunft vorherzusagen und Botschaften aus anderen Welten zu »channeln«. Sie hatte dramatisch geführte Gespräche mit Personen, die außer ihr niemand sah und konnte nach eigenen Angaben Objekte durch reine Geisteskraft bewegen.

Der Psychologe sah diese Fähigkeiten berufsbedingt etwas anders und sprach davon, dass sie unter Tagträumen an der Grenze zur Halluzination litt, aber er musste auch einräumen, dass einige ihrer Fähigkeiten recht beachtlich waren.

Eine ihrer Fähigkeiten war zum Beispiel die telepathische Kommunikation mit den Bewohnern des Planeten Mars. Sie lernte dabei die Sprache und Schrift der Marsianer, letztere brachte sie auch durch automatisches Schreiben hervor. Das Schriftbild war für unsere Augen nicht so zum Schreiben geeignet, aber die Sprache, die in diesem psychischen Prozess völlig an ihrem Bewusstsein vorbei entstand – wir wissen ja heute, dass der Mars bestenfalls Wesen auf dem Entwicklungsstand von Einzellern beherbergt – hatte eine echte Grammatik, einen konsistenten Wortschatz und eine beachtliche Ausdruckskraft. Wenn die bei der Untersuchung teilweise analysierte Sprache nicht eine starke grammatikalische Ähnlichkeit mit Hélène Smiths französischer Muttersprache gehabt hätte, denn hätten die Untersucher gewiss vor einem noch größeren Rätsel gestanden.

Kurz: Niemand unterschätze die Fähigkeit des Unbewussten zu schöpferischer Leistung! Geschichten über den bewohnten Mars (man konnte ja die Jahreszeiten im Teleskop sehen) und seine Lebensbedingungen waren damals populär, und die Parapsychologie stand in wildester Blüte. Der Rest entstand in einem psychologischen Prozess. Dass Frau Smith von ihren Séancen gut leben konnte, belegt in meinen Augen nicht, dass es sich um eine bewusste Betrügerin handelt – schon gar nicht angesichts der Ergebnisse der psychologischen Untersuchung. Es hatte auch durchaus noch nicht den Ruch des Betruges, wenn jemand von seinen Séancen lebte.

Ein anderes Beispiel ist der wohl über jeden Betrugsverdacht erhabene und im Alltag völlig unauffällige James Hampton mit seinem visionären (oder irrsinnigen) Werk und seinen bis heute ungelesenen »Offenbarungen«, die auch eine gewisse innere Konsistenz zu haben scheinen. Dieses Beispiel hat einen derart aufdringlichen Voynich-Geschmack, dass es mir schon ein paar Worte in diesem Blog wert war.

Die Wahrscheinlichkeit für einen rein psychologischen Prozess ist also um einiges höher als die Wahrscheinlichkeit der üblichen Hypothesen, und der Misserfolg von 100 Jahren Forschung zeigt leider die Schwächen jener Hypothesen, die zur Grundlage der Forschung geworden sind.

Ein Beweis ist es nicht, nur eine Wahrscheinlichkeit.

Ist eine Forschung möglich?

Ja, es ist immer eine Forschung möglich. Hierbei sollte untersucht werden, ob das Unbewusste eines Menschen Voynich-artige Artefakte erzeugen kann, wenn es geeignet stimuliert wird.

Allerdings kann kein Voynich-Manuskript-Forscher diese Forschungen durchführen. Wir sind alle zu belastet und würden das hervorbringen, was wir uns längst verinnerlicht haben. Eine solche Untersuchung müsste von unbelasteten Menschen an unbelasteten Menschen durchgeführt werden. Ich schlage ungefähr das folgende, auf eine etwas langfristigere Untersuchung angelegte Programm vor:

  1. Man nehme sich eine Gruppe von freiwilligen Versuchspersonen und täusche sie über den wirklichen Forschungsgegenstand, indem man ihnen erzählt, dass es um Symbolverarbeitung nach dem allsinnlichen Prinzip geht.
  2. Diese Versuchspersonen werden zu Anfang mit verschiedenen Schriftsystemen aus normalen Handschriften des 15. und 16. Jahrhunderts (nicht Voynich!) konfrontiert. Sie sehen, wie diese Schriften aussehen, erfahren dabei nebenbei etwas über den Symbolvorrat und sie werden angeleitet, diese Schriften mit einer Feder zu reproduzieren. Wenn in den vorgelegten Dokumenten eine Sprache verwendet wird, die sie nicht verstehen, kann das hilfreich sein – schließlich sollen sie keine neue Schrift für ihre gewöhnliche Sprache lernen.
  3. Im nächsten Schritt werden die Versuchspersonen dazu aufgefordert, mit dem Schreibgerät, dass sie jetzt schon kennen, eigene Schriftzeichen zu entwerfen, die sie persönlich leicht und gut schreiben können. Dabei können sie natürlich auch die Schriftzeichen verwenden, die sie zuvor kennengelernt haben, sie können diese aber auch abwandeln und an ihre Vorlieben anpassen. Dabei entsteht hoffentlich ein Zeichenvorrat, der unabhängig von üblichen Alphabeten ist. Schon dieser ist interessant…
  4. Schließlich sollen die Versuchspersonen mit ihrem eigenen Zeichenvorrat vertraut werden, Zeichen aneinander hängen, die nach ihrem Gefühl gut zueinander passen, ein wenig damit herumspielen, ohne sich über den Sinn ihres »Kritzelns« viele Gedanken zu machen. Sie sollen einfach nur das Gefühl flüssigen Schreibens bekommen.
  5. Zu guter Letzt bekommen die Versuchspersonen eine Aufgabe. Sie bekommen einige Blätter vorgelegt, auf denen Zeichnungen sind. Einige dieser Zeichnungen sind abstrakt, aber viele erinnern an Erscheinungen der natürlichen Umwelt wie Bäume, Blumen, Tiere. In diese Zeichnungen sollen sie ihre »Texte« hineinschreiben – es wird wohl ein bisschen Vorbereitung brauchen, bis das problemlos geht.
  6. Diese Texte sind das erzeugte »harte« Datenmaterial. An ihnen wird der verwendete Zeichenvorrat, der Aufbau der entstandenen »Sprache« und ihrer »Wörter« (ich bin mir sicher, dass Leerräume entstehen, die den Eindruck von Wörtern erwecken) analysiert. Ferner wird überprüft, ob innerhalb der Zeilen und innerhalb der Seiten gewisse Verteilungsmuster auftreten. Kurz: Es wird alles darauf »losgelassen«, was wir schon auf das Voynich-Manuskript losgelassen haben.

Wenn dabei etwas entstünde, was auch nur eine messbare Ähnlichkeit zum Text des Voynich-Manuskriptes hat, denn wäre das ein sehr starker Beleg für die Entstehung des Textes aus einem psychologischen Mechanismus heraus. Wenn sich ferner zeigt, dass der »Text« bei völlig abstrakten Darstellungen »verarmt« und eine hohe Redundanz bekommt, würde ich mich völlig bestätigt fühlen.

Natürlich müsste man ein solches Experiment, um es »wasserdicht« zu machen, sehr genau planen und durchführen, um jede Beeinflussung der Versuchspersonen im Experiment zu vermeiden. Ich kann es nicht durchführen, aber vielleicht ist ja da draußen jemand, der sich meinem verhassten Lieblingsbuch einmal auf wirklich ungewöhnlichen Pfaden nähern will… 😉

Es gibt ganz gewiss keinen Ruhm zu ernten.

(Schon gar nicht von »Voynichologen«…)

Thema: Esoterik, Kunst, Spekulation, Zeichnungen | Kommentare (3) | Autor:

Der große Frust

Sonntag, 1. März 2009 0:51

Es ist nicht leicht möglich, sich rationell dem Anomalen zu nähern. Wenn sich ein Mensch einer Erscheinung gedanklich annähert, denn tut er dies in der Regel, indem er Muster darin sucht, um aus diesen Mustern eine Einsicht in die Beschaffenheit des Gegenstandes zu erhalten. Im Idealfall bekommt ein Mensch während dieses Unterfangens nach und nach aus seinen Irrtümern und weiter führenden Hypothesen das Gefühl, einen »festen Boden« unter den Füßen zu bekommen, und von dort ausgehend geht es dann voran, bis im Idealfall eine Einsicht zustande kommt.

Nehmen wir einmal ein Beispiel aus meinem Leben.

In der Mitte des Jahres 2000 stellte ich auf digitalen Fotografien im Internet und später auch auf solchen eines Freundes gelegentlich etwas fest, was wie schwach glimmende Kügelchen mit einer undeutlichen, inneren Struktur aussah. Natürlich durchsuchte ich daraufhin erst einmal das Internet, um eine Aufklärung zu finden. Dort fand ich nach kurzer Zeit Einiges zum Thema. Ich »lernte«, dass diese Leuchterscheinungen »Orbs« genannt wurden, und ich »lernte«, dass viele Menschen der Meinung waren, es handele sich hier um ein paranormales Phänomen. Angesichts der großen Anzahl solcher Bilder konnte ich die paranormale Hypothese nicht glauben, zumal die »Orbs« neben ihrer Fähigkeit, auf Fotos aufzuscheinen, keinerlei reproduzierbare Wechselwirkung mit der Umwelt zeigten. (Die immer wieder behauptete »Wahrnehmung« der »Orbs« durch Haustiere erwies sich bei erster Durchsicht des Bildmateriales als Haufen interpretierter Zufälligkeiten, es gab außerordentlich viele Bilder, auf denen die Hunde und Katzen mit offensichtlicher Gleichgültigkeit auf die »Orbs« reagierten.)

Aber es hatte mich gepackt, und so wollte ich erfahren, was es mit den »Orbs« wirklich auf sich hat. Sie tauchten ja auch auf Fotos eines Freundes auf, und ich setzte mich mit einer Mail mit diesem Freund in Kontakt, verwies auf ein im Internet veröffentlichtes Bild von ihm und fragte ihn, welchen Reim er sich auf die fahle Leuchterscheinung machen könnte. Er war zunächst genau so ratlos wie ich, hatte so etwas öfter einmal gesehen, aber deshalb die Fotos eher als »unbrauchbar« aussortiert. Zum Glück hatte er seine Fotos archiviert, und ich bat ihn, einmal einen flüchtigen Blick in sein Archiv zu tun, damit wir vielleicht Genaueres über diese »Erscheinungen« erfahren – dabei habe ich die »paranormale Hypothese«, die ich auf englischsprachigen Websites kennen lernte, bewusst nicht erwähnt.

Mein Freund nahm sich tatsächlich zwei Stunden Zeit für diese kleine Frage, und am Ende standen folgende Einsichten:

  • Er fotografierte damals sowohl digital (für das Internet) als auch auf klassischem Filmmaterial, aber alle »Orbs« sah er nur auf digitalen Fotos.
  • Die meisten »Orbs« wurden dann sichtbar, wenn Fotos aus Kneipen, Distotheken oder ähnlichen Etablissments im Betrieb geschossen wurden – dies machte er vor allem für die Internet-Arbeit.

Das war ja schon einmal ein Muster. Im nachfolgenden Mailverkehr kamen wir auf die Idee, einmal die EXIF-Daten in den Digitalfotos mit »Orbs« zu betrachten, um vielleicht einen weiteren Hinweis auf die Natur dieser Erscheinung zu bekommen.

Dabei stellte er fest, dass alle »Orbs« in seinen Fotos auf Blitzlichtaufnahmen erschienen, und zwar vor allem unter ungünstigen Lichtbedingungen.

Wir bildeten die Hypothese, dass es sich um defokussierte Staubteilchen handeln könnte, die vom Blitzlicht angeschienen werden. Die scheinbare Ausdehnung dieser »Orbs« wäre dann ein Effekt der Unschärfe. Mit dieser Hypothese war es meinem Freund sofort möglich, ein paar typische »Orb«-Fotos zu reproduzieren, indem er seine Kamera im Halbdunkel vor einer staubigen Matratze platzierte, auf die er vorm Auslösen einige Male mit seiner Hand schlug. Jetzt erst machte ich meinen Freund auf die teils recht esoterischen Deutungen des Phänomens aufmerksam, und wir lernten beide eine Menge darüber, wie sich Menschen eine unverstandene Erscheinung zurechtinterpretieren konnten.

So eine schnelle Einsicht ist ein Idealfall. Es war nicht viel »Forschung« erforderlich, um die Muster in der Erscheinung zu erkennen und um auf diesem Wege eine befriedigende Erklärung zu bekommen. Viel mehr fanden wir es beide erstaunlich, mit wie großem Ernst Menschen teilweise absurde Thesen vertreten, ohne auch nur einen Moment lang über mögliche andere Erklärungen nachzudenken. Die schiere Menge der »Orb«-Fotos hätte jeden darauf bringen können, dass es sich um etwas sehr alltägliches handeln musste.

(Später machte mein Freund auch »Orb«-Fotos bei Nieselregen, hier sind es allerdings feine Wassertröpfchen, die als »Orbs« erscheinen. Das Resultat ist sehr ähnlich. Wenn wir das wollten, könnten wir die Leichtgläubigkeit vieler Menschen ausnutzen, indem wir auf Bestellung »paranormale« Fotos anfertigen, aber diese Art »Geschäft« verachten wir.)

So weit eine kleine Erfolgsgeschichte.

Beim Voynich-Manuskript kann ich nicht einmal eine kleine Erfolgsgeschichte berichten. Der große Erfolg, ein endlich gelesenes und verstandenes Manuskript, liegt in noch größerer Ferne.

Denn das Voynich-Manuskript ist anomal. Es bleibt anomal, gleich, auf welcher Ebene es betrachtet wird. Das erschwert jede Beschäftigung mit dem »verdammten Manuskript«.

Das verwendete Schriftsystem ist einzigartig und nirgends anders belegt. Es hat dabei aber Ähnlichkeiten zu üblichen lateinischen Schriften und gängigen Abkürzungen des spätmittelalterlichen Europas.

Der »Text« weist zwar verheißungsvolle und sehr deutliche Regelmäßigkeiten in der Wortbildung auf, aber ein großer Anteil des Textkörpers weicht von diesen Regeln ab. Diese Abweichungen verteilen sich völlig unregelmäßig im Manuskript, nur das erste Wort einer pflanzenkundlichen Seite ist beinahe immer unregelmäßig gebildet.

Die innere Struktur der regelmäßig gebildeten »Wörter« erinnert an natürliche Sprachen, passt aber zu keiner Sprache, die im europäischen Raum Spuren hinterlassen hat.

Die Illustrationen scheinen reine Fantasiegebilde zu sein, sie lassen sich nicht biologischen, astronomischen, astrologischen oder esoterischen Erscheinungen außerhalb des Manuskriptes zuordnen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht gelegentlich starke Ähnlichkeiten zu wirklichen Erscheinungen hätten.

Nach einigen Jahren mit dem »verdammten Manuskript« habe ich zumindest eines gelernt: Wann immer ich nach einem erkannten Muster greife – wie etwa den »harmonischen Regeln« für die Glyphenfolge – führt dieser Weg in eine Sackgasse. Die Regelmäßigkeit des Manuskriptes ist vorhanden, und sie deutet an, dass sich Bedeutung in ihr verbirgt, dass es sich nicht um eine zufällige Folge von Glyphen handelt. Aber die Ausnahmen von diesen Regeln verteilen sich völlig willkürlich über das Manuskript und machen jeden Versuch zunichte, weitere Einsichten zu gewinnen.

Es ist frustrierend.

Und dieser Frust greift nicht nur nach mir, sondern nach jedem Menschen, der sich mit dem Voynich-Manuskript beschäftigt. Seit etlichen Jahrzehnten beschäftigen sich Menschen von hohem akademischen Bildungsgrad, Spezialisten aller Art sowie diverse wissenschaftliche Laien wie ich mit diesem Buch, ohne dass auch nur die Spur einer Einsicht in die Bedeutung des Textes entstanden ist. Was uns allen bleibt, ist der begründete Glaube, dass der Text wohl wenigstens für seinen Schreiber eine Bedeutung gehabt haben wird – und auch der begründetste Glaube kann nicht eine rationelle, belegbare, zu Ergebnissen führende Einsicht ersetzen.

Anfangs, als ich das Problem unterschätzte, war ich noch etwas motivierter. Die flüchtige Schrift, die nicht nach einem schweren Rätsel aussah, hatte mich in den Bann gezogen, hatte mir durch die Jahrhunderte zugeflüstert, dass sie leicht zu schreiben gewesen sei, gar nicht nach einem Code aussieht und dass sie deshalb wohl auch leicht zu lesen sein würde.

Selbst darin widerspricht sich dieses Manuskript selbst.

Und manchmal halte ich das für die eigentliche Botschaft. Manchmal glaube ich, dass ich ein großartiges Kunstwerk vor mir sehe – nicht das »sinnlose Geschwafel«, das einige Forscher gern im Voynich-Manuskript sehen würden, sondern ein aufwändig und sehr genau und überlegt geschaffenes Werk, das mit allen Aspekten der menschlichen Wahrnehmung spielt, um ihr die Grenzen aufzuzeigen. Denn das erklärt für mich noch am besten, was im Voynich-Manuskript vor mir liegt.

Und dann verfolge ich doch wieder eine neue Idee, um mich schon nach kurzer Zeit in der inzwischen sehr vertrauten Sackgasse wiederzufinden…

So gut ist dieses Kunstwerk. 😉

Thema: Interpretation, Kunst | Kommentare (1) | Autor:

f3v: Traumgewächse

Montag, 19. Mai 2008 14:34

Mehr zur Seite f3vMan muss gar nicht so lange in das Manuskript schauen, um zu der Überzeugung zu kommen, dass die darin dargestellten »Pflanzen« wirklich surreal sind und eher einer Traumwelt entspringen. Schon die sechste Seite macht auf dem ersten Blick klar, dass es zumindest einige »Pflanzen« des Manuskriptes gar nicht in der Realität geben kann. Der Versuch, durch eine Identifikation der »Pflanzen« einen Ansatzpunkt für eine Entschlüsselung des Textes zu bekommen, ist zum Scheitern verurteilt.

Das heißt allerdings nicht, dass ich es nicht auch versucht hätte. Eine Zeitlang habe ich mir gesagt, dass diese Pflanzen vermutlich stark stilisiert gezeichnet wurden und deshalb nicht ganz so leicht zu identifizieren sind, dass es aber dennoch möglich sein könnte. Immerhin verspricht die Analyse der dargestellten botanischen Erscheinungen auch einen Weg, den Ort zu finden, an dem dieses Buch geschrieben wurde – und gibt damit eventuell einen wichtigen Fingerzeig auf die darin verwendete Sprache. Leider ist dieser Weg nicht gangbar, weil diese »Pflanzen« nirgends auf der Erde wachsen.

Das wird auf Seite f3v recht deutlich.

Ein Blatt der Pflanze auf Seite f3vSchon die Form der Blätter ist auffällig. Sie ist so auffällig, dass eine ähnliche Pflanze in der botanischen Wirklichkeit sofort identifiziert werden sollte.

Was einem auf dieser Seite als Blatt einer »Pflanze« entgegentritt, erinnert eher an die Karikatur eines Frosches als an ein Organ zur Photosynthese. Da scheinen zwei Beine zu sein, zwei Arme, ein Körper und ein seltsam deformierter Kopf. Selbst bei einer abstrakten Stilisierung einer Pflanze in einem Buch würde doch die Form der wesentlichen Gestaltmerkmale erhalten bleiben.

Aber nicht nur die Blätter sorgen für Zweifel an der botanischen Realität der Pflanze, auch die Wurzel macht einen unwirklichen Eindruck.

Die Wurzel der Pflanze von f3v

Diese Wurzel erweckt den Eindruck mehrerer aufeinandergesteckter Wurzelteile. Am oberen Ende eines solchen Teiles scheint jeweils eine »Plattform« zu sein, aus der die nächste Wurzel entsprießt.

Die Blüte der Pflanze von Seite f3vVöllig sicher scheint jedoch der surreale Charakter der Pflanzen zu sein, wenn man sich einige Blüten anschaut.

Diese Blüte erweckt nicht den Anschein eines pflanzlichen Organes zur Fortpflanzung. Es scheint sich um einen großen, fleischigen Körper zu handeln, der an einem Ende wie aufgeschnitten wirkt. In diesem Ende befinden sich einige nicht besonders deutlich gezeichnete Elemente, die nicht an Fruchtknoten oder Staubgefäße erinnern, sondern eher an unscheinbare Blüten in einer Scheinblüte. Umrahmt wird dieses Angebot an bestäubende Insekten von einem Kranz farbloser Kronblätter, die im Rahmen einer Scheinblüte wenig Signalwirkung entfalten könnten. Es ist eine biologisch sinnlose Blüte.

Auch wenn eine geographische Lokalisierung an Hand solcher »Pflanzen« zum Scheitern verurteilt ist, bleibt der eingangs geäußerte Gedanke vollgültig. Es ist immer noch möglich, an Hand dieser Gewächse einen Ort zu finden, an welchem dieses Manuskript wahrscheinlich entstanden ist. Das Wort »wahrscheinlich« meint hier allerdings nur, dass dieser Schluss wahr zu sein scheint, es ist keine sichere Aussage. Alle diese (oder doch sehr viele dieser) Pfanzen wachsen in der Fantasie eines menschlichen Geistes und nirgendwo auf der Erde. Es sind Traumgewächse.

Das könnte durchaus auch ein Hinweis darauf sein, dass die geschriebenen Teile des Manuskriptes den gleichen Ursprung haben, Trauminhalte sein könnten, die in einer Traumsprache verfasst sind. Jeder Versuch, einen gewöhnlichen sprachlichen Text in diesem Buch zu finden, wäre dann zum Scheitern verurteilt. Die reflektierten Leistungen des wachen Bewusstseins unterscheiden sich nun einmal deutlich von den unbewussten Leistungen des Traumes, der zwar ein vollwertiger, aber doch im Wesentlichen regressiver und ältere Schichten der Psyche offen legender psychischer Akt ist. Natürlich ist dieser Akt dennoch kein strukturloses Rauschen, und er könnte durchaus die im Voynich-Manuskript beobachteten Strukturen hervorbringen. (Über die Strukturen muss ich demnächst einmal einen längeren Text verfassen.)

Das kollektive Scheitern aller wissenschaftlichen Kryptografie der Neuzeit mit ihrer computergestützen Analyse könnte durchaus als ein weiteres Indiz für diese Hypothese aufgefasst werden. Natürlich bedeutet das nicht, dass das Manuskript nicht doch einem Verständnis zugänglich wäre, es ist nur eher etwas für mutige Psychologen als für »harte« Wissenschaftler. Allerdings habe ich noch keine Idee, wie in dieser Richtung geforscht werden könnte und welchen Beitrag ich dazu leisten könnte. Selbst in einer solchen Forschung wären mir »harte« Daten und reproduzierbare Ergebnisse wichtig.

Und denn gibt es natürlich noch einen psychischen Akt, der dem des Träumens mehr als nur oberflächlich verwandt ist: Das Schaffen von Kunst. Es ist durchaus möglich, dass das Voynich-Manuskript »nur« ein zugegebenermaßen recht ungewöhnliches Kunstwerk ist, das keine Nachricht im Sinn einer Sprache transportieren soll. Auch dann würden alle Ansätze scheitern, einen »Sinn« in diesem »Text« zu finden.

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Wie klingt das Manuskript?

Samstag, 23. Februar 2008 19:03

Ich vertrete ja schon länger die These, dass einer der Gründe, weshalb das Voynich-Manuskript jedem Versuch trotzt, ihm einen ursprünglichen Text zu entreißen, darin liegt, dass es gar keinen »Text« im gewöhnlichen Sinne des Wortes geben könnte. Eine meiner frühen Ideen, die ich niemals weiter verfogte, war, dass es sich um eine Form der musikalischen Notation handeln könne; diese könnte durchaus starke Muster und Regelmäßigkeiten aufweisen. Auch könnten sich auf durch diese These die momentan noch rätselhaften zwei »Sprachen« im Manuskript erklären, sie wären schlicht die beiden Tongeschlechter Dur und Moll.

Nun hat Berj Ensanian ein erstes Experiment angestellt, das Manuskript als Musik zu interpretieren und seine Ergebnisse der englischen Mailingliste und auf seiner Website mitgeteilt. Die folgende, auszugsweise Übelsetzung seiner Mitteilung in der Mailingliste ist von mir, die Links auf erläuterndes Material habe ebenfalls ich hinzugefügt:

Ich zwei  Audiodateien im MP3-Format zum Download und Anhören zur Verfügung gestellt. Du kannst diesen Audiodateien lauschen und sie mit den ersten Absätzen der Seite f20r des Manuskriptes (ein pflanzenkundlicher Text in Currier-Sprache A) und der Seite f95r2 (pflanzenkundlich in Currier-Sprache B) vergleichen. Es handelt sich um eine experimentelle Transkription in Musik. Jedes Stück dauert ungefähr eine Minute. Eine vollständige, in die Einzelheiten gehende Beschreibung dieser Übertragung und der Einschränkungen dieses Experimentes sind verfügbar.  […]

Der präzise Bericht erläutert die Vorgehensweise recht ausführlich. Interessant ist des abschließende Urteil über den Höreindruck (die Übelsetzung ist wieder von mir, die direkten Links auf die MP3-Dateien sind meine Ergänzung):

[…] Und schließlich ein paar Eindrücke von der Gegenüberstellung von f20r mit f95r2: Die Umsetzung von f20r hört sich für meine Ohren erstaunlich gut an. Ich wäre nicht überrascht, so etwas zu hören, wenn jemand entspannt auf seinem Klavier improvisiert. Allerdings klingt die Umsetzung von f95r2 für mich sehr anders. Im Gegensatz zu f20r scheinen sich dort die Zeilen stärker voneinander zu unterscheiden. Vielleicht sind die Zeilen in f95r2 in alternierenden Schreibrichtungen [engl. Wort hier: »boustrophedon«, meine Anmerkung] geschrieben, so dass ihre Musik besser klingt, wenn man das berücksichtigt – ich werde das noch untersuchen. So wie ich es transkribiert habe, ist der Höreindruck zwar nicht schrecklich, aber die musikalische Umsetzung der Seite f95r2 erinnert mich an zufällige Einsprengsel von Daten in einen digitalen Datenstrom, was zuweilen eine Kakophonie ergibt. Verglichen mit f20r, klingt in f95r2 weniger ein musikalisches Thema, weniger innere Ordnung, es klingt ein bisschen, als würde ein unerfahrener Musiker versuchen, ein Stück zu komponieren, dessen Komplexität seine Fähigkeiten übersteigt. Im Gegensatz dazu klingt die Currier-Sprache A der Seite f20r so, als wäre sie von einem verbindenden musikalischen Thema getragen. Vielleicht ist es dieses Muster, das zu der Erwägung führt, dass die Currier-Sprache A näher bei den Mustern einer natürlichen Sprache liegt als die Currier-Sprache B.

Ein wirklich hochinteressantes Experiment.

Thema: Kunst, Sonstiges im Netz | Kommentare (1) | Autor:

Eine Sprache

Freitag, 26. Januar 2007 1:35

Nachdem ich die Arbeit an diesem leidigen Manuskript und seinen Transkriptionen so lange ruhen lassen habe, fühle ich doch wieder einmal ein gewisses Bedürfniss, über das Thema zu schreiben und eine Frage an das Manuskript zu beleuchten.

Die Frage, die ich mir heute stelle, ist leicht zu formulieren, aber schwierig zu beantworten: Handelt es sich bei der Glyphenfolge im Manuskript möglicherweise um eine direkt notierte Sprache?

Mit »direkt notierter Sprache« meine ich eine wie auch immer geartete phonetische Notation dessen, was Menschen sprechen. Dass es sich hier nicht um ein lateinisches Alphabet in einer lediglich unüblichen oder vergessenen Kursive handelt, sollte angesichts eines ersten Blickes in das Manuskript sofort klar werden:

Ein Beispiel-Absatz

Schon an diesem kleinen Beispielabsatz aus dem letzten Abschnitt des Manuskriptes fällt auf, dass gewisse Zeichen nur am »Wortanfang« auftreten, andere Zeichen hingegen fast nur am »Wortende«. Eine solche Erscheinung ist für das lateinische Alphabet völlig ungewöhnlich. Ebenso erscheint es wenig plausibel, dass die nach oben über die Schriftlinie hinausragenden Zeichen (die so genannten »Gallows«) in einer solchen Ausschließlichkeit die zweite oder dritte Position im »Wort« einnehmen sollten. (Lediglich das erste Wort eines Absatzes oder einer Zeile beginnt häufig mit einem solchen Zeichen.)

Gegen die Möglichkeit einer direkt notierten Sprache sprechen die Eigenschaften der »Wörter« und der »Wortfolgen«. Sie haben einen ungewöhnlich peniblen formalen Aufbau, und zudem sind aufeinanderfolgende »Wörter« oft sehr ähnlich oder sogar identisch. Wenn es eine Sprache wäre, hätten die Wörter die Eigenschaft, dass ihre Zeichen in einer bestimmten Sortierung aufträten und zudem aufeinander folgende Wörter große klangliche Ähnlichkeiten aufwiesen. Gesprochen klänge so etwas ungefähr wie: »quhaan hlun nam naam nalun um um uun quaam kuaam an«, wobei die hier verwendenten Laute natürlich völlig willkürlich gewählt sind.

Das ist aber kein Argument dafür, dass es sich nicht um eine Sprache handelt. Ganz im Gegenteil ist es eher ein Argument dafür, dass es sich nicht um ein einfaches Verfahren zur Verschlüsselung eines Textes handelt. Wenn es ein einfacher Schlüssel wäre, der Buchstaben auf bestimmte Zeichen abbildet, blieben dabei viele Eigenschaften des verschlüsselten Textes erhalten; wäre es hingegen ein komplexes Verfahren mit häufigen Schlüsselwechseln mitten im Text, so würde das Auftreten derart starker Regelmäßigkeiten verwundern. Ein Verfahren zur Verschlüsselung (und zwar eines, das mit mittelalterlichen Hilfsmitteln realisierbar ist), dass solche Strukturen erzeugt, suche ich schon recht lange…

Die Mondin mit den zwei SichelnWenn es sich um eine direkt notierte Sprache handelt, zeigt sich in solchen Strukturen die phonetische Struktur der Sprache. In diesem Fall kann eine Aussage über die Sprache des Manuskriptes gemacht werden: es ist gewiss keine europäische Sprache. Und das würde wiederum verwundern, da nichts im Manuskript auf einen außereuropäischen Ursprung hindeutet – schon gar nicht die Illustrationen. Diese sehen genau so aus, wie man es von einem späten mittelalterlichen Kompendium der Wissenschaft Europas erwarten würde. Deshalb erscheint es völlig unglaubwürdig, dass im Manuskript eine außereuropäische Sprache notiert sein sollte.

Darüber hinaus haben schon viele Forscher die Glyphen des Manuskriptes mit allen möglichen (und unmöglichen) Schriftsystemen verglichen, ohne dass dies irgend eine zwingende Ähnlichkeit zu Tage gebracht hätte. Das heißt natürlich nicht, dass nicht immer wieder einmal jemand mit hohem argumentativen Aufwand eine bestimmte Hypothese vertreten hätte, natürlich ohne, dass diese Hypothese Aufschluss über die Botschaft des Manuskriptes gegeben hätte.

Vexierbild eines TotenkopfesDas gesamte Manuskript hat viel von einem Vexierbild. In der einen Betrachtungsweise zeigt sich dieses Bild, in der anderen jenes. Es ist aber bei aller Bemühung nicht möglich, diese beiden Betrachtungen zu einem geschlossenen Bild zusammenzufügen und zu einer Einsicht zu kommen. Manchmal glaube ich, dass genau diese quälende Eigenschaft ein wesentlicher Bestandteil der Botschaft ist, vielleicht sogar die Hauptsache; und alle Bemühungen, der »Schrift« einen konsistenten, verständlichen und klaren Inhalt zu entreißen, werden für immer vergebens bleiben. Das Manuskript wäre denn nicht das scheinbare Kompendium einer Wissenschaft, sondern ein Kunstwerk. Aber ein solches Maß an Surrealismus, vielleicht sogar Dadaismus im künstlerischen Ausdruck will ebenfalls gar nicht in das späte europäische Mittelalter passen, aus dem dieses Buch voller Rätsel doch sicher stammt.

Ein Königreich für eine Zeitmaschine. 😉

Thema: Kunst, Spekulation | Kommentare (1) | Autor:

(Nur) ein Kunstwerk?

Sonntag, 21. August 2005 2:21

Was bei der Betrachtung des Voynich-Manuskriptes sofort in’s Auge fällt, ist seine sehr eigentümliche Bebilderung, die schnell den Eindruck erweckt, aus einer »anderen Welt« zu kommen. Das Schriftbild wirkt hingegen auf dem ersten Blick beinahe vertraut, und die Vermutung, dass es sich um eine unentzifferbare Geheimschrift handelt, liegt fern.

Einer der Gründe, warum diese Schrift nicht gelesen werden kann, könnte darin liegen, dass diese Schrift nicht zu lesen ist. (Das klingt dumm, ich weiß…)

Es ist durchaus denkbar, dass es sich beim gesamten Manuskript um ein Kunstwerk handelt, das eben Bilder einer anderen Welt zeigen soll. Natürlich nicht solche, die aus einem UFO heraus flugs gezeichnet wurden, sondern eher Bilder einer uns recht fremden geistigen Welt, ein künstlerischer Entwurf einer anderen Welt oder einer Traumwelt. Dann überrascht es auch weniger, dass jede Identifikation der »Pflanzen« bislang gescheitert ist (obwohl das eine so einfache Möglichkeit gewesen wäre, sich der Bedeutung des »Textes« zu nähern) und viele der Kräuter wie ein Patchwork zusammengesetzt erscheinen.

Auch das gesamte Schriftsystem könnte in einer solchen Konzeption eine allein künstlerische Komposition sein. Zu entziffern wäre dann nichts daran, und die ganze analytische Mühe mit den Transkriptionen ginge am Geist eines Werkes vorbei, dessen Mitteilung völlig andere Komponenten unserer Bewusstheit anzusprechen sucht. Der bisherige Misserfolg dieser Mühe wäre so auch kein Wunder mehr.

Wäre das ein einmaliges Werk? Nein, es gibt sogar ein vergleichbares Werk aus der modernen Zeit, nämlich den Codex Seraphinianus des italienischen Künstlers Luigi Serafini. (Im Gegensatz zum Hinweis in der englischsprachigen Webseite ist das Buch nicht mehr erhältlich.) Auch hier werden fremdartige, aber doch an Vertrautes anklingende Illustrationen in einer unlesbaren Phantasieschrift »beschrieben«. Und das Befremden beim Betrachten ist ähnlich, nur dass hier völlig klar ist, dass es sich um künstlerischen Ausdruck handelt. Das hat allerdings einige »Leser« nicht davon abgehalten, sich sehr mit diesem Text zu beschäftigen.

Einen wichtigen Unterschied gibt es aber doch. Das Schriftsystem des Voynich-Manuskriptes ist bemerkenswert gut entworfen und wird über das gesamtes Manuskript hindurch ohne nennenswerte Abweichungen verwendet. Hingegen ist das »Schriftsystem« des Codex Seraphinianus während der Erstellung des Werkes sichtbar gewachsen und erfuhr beachtliche Modifikationen, und die daraus gebildeten »Wörter« weisen keine über das ganze Buch einheitlichen Bildungsgesetze auf.

Und irgendwie will eine derartige Gründlichkeit beim Entwurf des Schriftsystemes im Voynich-Manuskript dann doch nicht zur Schlampigkeit und Eile der Ausführung dieses Werkes passen.

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Patchwork

Dienstag, 2. August 2005 17:48

Es sind schon einige Versuche unternommen worden, die im Manuskript abgebildeten »Pflanzen« zu identifizieren. Und alle diese Versuche sind gescheitert. Das Rätsel dieses Manuskriptes besteht also nicht nur in einer unentzifferten mittelalterlichen Geheimschrift, sondern auch in der wie außerirdisch wirkenden Natur der Illustrationen.

Vor einigen Wochen zeigte ich zwei Kindern, sechs und acht Jahre alt, einige Bilder des Manuskriptes. Diese waren nun recht unvoreingenommen, und sie sahen auf dem ersten Blick, dass es diese »Pflanzen« in der Wirklichkeit nicht geben könne. Eigentlich sollte dies auch einem erwachsenen Betrachter schnell klar werden.

Ob es völlig ungewöhnliche Blütenformen sind, ob die Farben der Laubblätter in alternierenden Farben auftreten oder ob der Eindruck entsteht, die »Pflanze« sei irgendwie auf die Wurzel aufgesetzt: Der Eindruck, es eher mit künstlerischen Entwürfen zu tun zu haben, die aus einer (fremden und für das Mittelalter einmaligen) geistigen Welt und nicht aus dem Boden hervorsprossen, wird beim Betrachten dieser Bilder immer größer. Die wenigen vertraut aussehenden »Pflanzen«, die sich in die Illustrationen verirrt haben, können diesen Eindruck nicht beseitigen.

Die Frage, ob es sich bei diesem Manuskript mehr um eine künstlerische Form der Mitteilung handeln könnte, ist keineswegs unerheblich für jeden Versuch, das Manuskript zu lesen. Schließlich liest man ein Gedicht sehr anders als ein Bestimmungsbuch für Pflanzen.

Und in einer Kunstform wäre es auch nicht mehr so überraschend, dass viele Pflanzen wirken, als seien sie wie ein Patchwork aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt, die gar nicht zusammen passen wollen.

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