Beiträge vom April, 2009

Merkzettel für neue Voynichologen

Dienstag, 28. April 2009 22:20

Es wird nicht leicht sein, das Voynich-Manuskript zu lesen. (Vielleicht wird es gar niemals gelingen, weil dort nichts zu lesen ist, aber das kann zurzeit noch niemand wissen.) Das Scheitern vieler qualifizierter Forscher ist ebenso ein Denkmal für die Schwierigkeit dieses Unterfangens, wie die Anfälligkeit etlicher Forscher für Selbstbetrug und offensichtlich absurde Theorien. Die Überheblichkeit eines »das kann mir nicht passieren« ist angesichts der Schwierigkeiten, die sich mit dem Voynich-Manuskript verbunden, eine gefährliche Form der Dummheit. Sie ist leider auch eine verbreitete Dummheit, auch ich bin nicht immer davon frei.

Wenn du irgendeine Erscheinung am Manuskript untersuchst, denn besorge oder erstelle dir das stärkste und härteste Belegmaterial für diese Erscheinung, selbst wenn es in der Konsequenz deiner oder der üblichen Auffassung vom Wesen des Manuskriptes widerspricht! Hüte dich vor Erscheinungen, die keine Eigenschaften des Manuskriptes sind, sondern nur bei der Wahrnehmung des Manuskriptes entstehen und damit Eigenschaften des Wahrnehmenden abbilden. Zu leicht entpuppt sich das erkannte Muster als Projektion der eigenen, unbewussten Vorstellungen, und jede Untersuchung dieses Musters als eine Beschäftigung mit Psychologie, und nicht als eine mit Pergament, Tinte, Kryptographie und Sprache.

Verwende die originalgetreuesten Quellen zur Überprüfung und möglichst auch zur Erzielung deiner Teilergebnisse, vertraue niemals ungeprüften Informationen aus zweiter Hand! Dies gilt insbesondere für Transkriptionen. Eine Transkription ist ein unerlässliches Hilfsmittel, wenn mit Hilfe eines Computers Eigenschaften der Glyphenfolge untersucht werden sollen, sie kann auch hilfreich sein, um sich einen schnellen Überblick über globale Eigenschaften zu verschaffen. Jede Transkription ist aber fragwürdig. In jede Transkription gehen die unbewussten Annahmen des Transkribierenden ein und formen systematische Fehler. Keine Transkription kann eine Abbildung des »richtigen Manuskriptes«, bevorzugt in guter, hochauflösender Qualität, ersetzen. (Und wohl dem, der einmal gut vorbereitet nach Yale reisen kann!) Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob meine »harmonischen Gesetze« nicht Artefakte der psychologischen Tätigkeit jener Menschen waren, die einen für sie unverständlichen Text transkribierten; im richtigen Manuskript zeigt sich das alles sehr viel vager. (Es zeigt sich aber noch.) Wenn du wissen willst, wie fragwürdig Transkriptionen sein können, dann nimm dir eine beliebige, nicht allzu auffällige Seite aus dem Manuskript (es gibt einige Seiten, die auffällig sind und allgemein für wichtig gehalten werden, hier sind die Transkriptionen auch etwas sorgfältiger) und transkribiere sie mit aller Ruhe und Sorgfalt, um dein Ergebnis anschließend gegen eine andere verfügbare und verbreitete Transkription abzugleichen. Das Ergebnis kann erschütternd sein, und es sollte jedes nur auf Transkriptionen basierende Resultat in Frage stellen.

Zum Thema Transkriptionen: Sei nicht unkritisch gegenüber den Annahmen, die in ein Transkriptionsalphabet eingehen! Die häufige komplexe Glyphe, die in EVA als »sh« notiert wird, ist ein EVA-«ch« mit so etwas ähnlichem wie einem diakritischen Zeichen auf der Verbindungslinie. Ein Blick in Abbildungen des richtigen Manuskriptes zeigt, dass dieses scheinbare diakritsche Zeichen in sehr verschiedener Form ausgeführt sein kann, aber das EVA-System lässt diese Unterschiede verschwinden. Angesichts der Tatsache, dass wir kein wirkliches Wissen über das Schriftsystem haben, ist dies eine fragwürdige Entscheidung. Eine andere Erscheinung ist, dass sowohl »n« als auch »r« sehr ähnliche Glyphen sind, beim ersteren geht der abschließende Bogen vom unteren Ende des »i«-Striches aus, beim letzteren vom oberen Ende. Es gibt aber auch immer wieder eine Glyphe, bei der dieser Bogen von der Mitte des Striches auszugehen scheint, diese ist in EVA nicht notierbar (nicht einmal als Weirdo) und wird je nach Willkür des Transkribierenden mal zu einem »r« und mal zu einem »n«. Im Moment erzeugt das Verfahren einer Transkription in EVA an sich bereits bestimmte Ergebnisse, die zweifelhaft sind. Die Entscheidung darüber, welche Teile des Schriftsystemes bedeutsam sind und welche nicht, sie sollte wohl besser getroffen werden, nachdem wir etwas gelesen haben.

Sei dir über deine Annahmen im Klaren! Jeder Mensch, der an etwas Unverstandenes herangeht, hat seine Annahmen über die Natur dieses Gegenstandes. Und immer haben diese Annahmen einen Einfluss darauf, was im Unverstandenen wahrgenommen wird. Versuch, diese Annahmen klar zu formulieren, wenigestens für dich, besser aber so, dass du sie auch anderen knapp kommunizieren kannst! Eine Möglichkeit zur Formulierung der Annahmen besteht darin, dass du Aussagen über das Manuskript eine Wahrscheinlichkeit mit einer Zahl zwischen Null und Eins zuordnest, wobei die Null für »Unmöglich« und die Eins für »Gewiss« steht. Verwende dabei nicht diese Extremwerte, denn du weißt nichts gewiss! Eine andere Möglichkeit, die vielleicht vielen Menschen mehr liegt, ist, dass du Aussagen über das Manuskript einen Geldbetrag zuordnest, den du auf die Wahrheit dieser Aussage verwetten würdest. Auch dabei werden die Annahmen und ihre unterschiedliche Stärke schnell klargestellt. Der Vorteil einer nummerischen Darstelluing ist übrigens, dass sich die Annahmen auf diese Weise kompakt mitteilen lassen, wenn dies einmal erforderlich erscheint.

Wenn du deine Annahmen kennst, richte deine besondere Aufmerksamkeit auf Fakten und Erscheinungen, die deinen Annahmen widersprechen könnten! Das Ausblenden von Widersprüchen ist der häufigste Fehler von Menschen, die sich mit dem »verdammten Manuskript« beschäftigen. In der Folge entsteht viel Kommunikation um solche Widersprüche, in der die eventuellen neuen Einsichten völlig untergehen können. Wenn du deine Ergebnisse bekannt machst, denn zeige dabei auch auf, welche möglichen Widersprüche zu deinen Ergebnissen du bereits berücksichtigt hast!

Lege den Schwerpunkt deiner Tätigkeit darauf, durch Überprüfung deiner Annahmen Belege für deine Annahmen zu erhalten! Wenn die Belege deinen Annahmen widersprechen, denn korrigiere deine Annahmen, nicht die Belege!

Wenn du deine Annahmen überprüfst und ein Ergebnis veröffentlichst, denn tue dies so, dass deine Vorgehensweise für andere Menschen völlig nachvollziehbar ist! Beschreibe, was du überprüfen wolltest; erkläre, welche Gedanken du dir dazu gemacht hattest; erläutere deine Methode; zeige auch auf, welche Fehlschläge auf dem Weg zu deinem Ergebnis lagen, welche Korrekturen du an deinen ersten Ideen vorgenommen hast! Verlange von niemandem, dass er dir deine Ergebnisse glauben muss, ermögliche es jedem, deine Ergebnisse zu prüfen und nachzuvollziehen. Vergiss auch nicht die technischen Angaben! Wenn du eine Transkription benutzt hast, denn teile mit, welche es war; wenn du sie mit einem Computerprogramm analysiert hast, dann veröffentliche das Programm! Zwinge niemanden, das Rad nochmal zu erfinden! Ein Erfolg der Bemühung um das Voynich-Manuskript ist nur kollektiv möglich, und deshalb sollte an andere Forscher gedacht werden. Welcher Fortschritt nebensächlich ist, und welcher schließlich auf dem Weg zu einer Lösung gelegen haben wird, kann zurzeit noch von niemandem abgesehen werden.

Und vergiss auf gar keinen Fall, dir schon anzuschauen, welche Fakten bereits durch Untersuchungen gesichert sind (oder es zu sein scheinen)! Erfinde selbst das Rad nicht doppelt, außer, um Ergebnisse zu überprüfen, die dir fraglich erscheinen oder die ein Problem für deine Annahmen darstellen! Besorge dir das Archiv der englischen Maillingliste, damit du eine durchsuchbare Dokumentation der jüngeren Forschung am Voynich-Manuskripte hast, und nutze diese Chance! Es wurde eine großartige Arbeit geleistet, und du solltest davon wissen, wenn du ernsthaft Interesse am Voynich-Manuskript hast. Auch, um zu wissen, wie schwierig das Problem wirklich ist. Werde dir aus diesem Archiv darüber klar, dass neue Erkenntnisse selten sind, dass aber mangelnde Sorgfalt, Betrug, kommerzielle Interessen, Verblednung, Verranntheit und übermäßiger Enthusiamus geradezu regelmäßig der wirkliche Hintergrund postulierter neuer Erkenntnisse ist! Das wird dich im Idealfall vorsichtig, aufmerksam und bescheiden machen; und diese Haltungen sind eine sichere Grundlage für wirkliche Einsichten.

Das vielleicht Wichtigste: Lass dich niemals von starken Worten mit geringen Belegen verblenden! Wer eine weitreichende Aussage macht, hat sich dadurch keineswegs von der Notwendigkeit befreit, diese belegen zu müssen. Ganz im Gegenteil: Je stärker und weitreichender eine Aussage ist, desto stärker und weitreichender müssen die zugehörigen Belege sein. Diese Belege darzubiieten obliegt immer dem, der die starke und weitreichende Aussage macht. Es obliegt niemals den Gegnern einer solchen Aussage, irgendeine »Unwahrheit« beweisen zu müssen. Aus Unwissenheit folgt gar nichts, egal, in wie großen Worten sie sich verpackt. Niemand weiß etwas über den Inhalt des Voynich-Manuskriptes. Und? Was folgt daraus? Richtig: Nichts.

Thema: Kommunikation | Kommentare (0) | Autor:

Der Prozess, der es schwierig macht

Mittwoch, 8. April 2009 16:27

Jedes Mal, wenn ich mich nach einigen Wochen Abstand wieder mit dem »verdammten Manuskript« beschäftige, sehe ich nach allen verworfenen Ideen etwas scheinbar Neues darin; etwas, das mir bedeutsam erscheint; etwas, das ich überprüfen will. Und jeses Mal, wenn ich das Wahrgenommene näher untersuche, muss ich feststellen, dass sich beim Wahrnehmen nicht etwa die Strukturen des Manuskriptes in meinem Bewusstsein abgebildet haben, sondern dass sich stattdessen die Strukturen meines Bewusstseins teilweise in einem für mich immer noch völlig unverständlichen Manuskript abgebildet haben.

Das ist der mentale Prozess, der jede Arbeit am Voynich-Manuskript so schwierig macht. Und es ist der mentale Prozess, der diese Arbeit gleichzeitig so frustrierend, offen für Fehldeutungen und faszinierend macht…

The process that makes it hard

Every time, I start to do some work with the »damned manuscript«, I see after all my formerly rejected ideas something new, something that seems to be meaningful, something that urges me to analyze and verify it. And every time, I do some further research on that new thing I perceived, I have to realize that it was not the structures of the manuscript, which were mirrored in my consciousness, but it was a part of the structure of my consciousness I mirrored in a completly unintelligibly manuscript instead.

This is the process in the human mind, which makes every kind of work in the Voynich manuscript this very hard. And it is the process in the human mind, which makes the work this amount of frustrating, open for improper interpretations and fascinating in the same way…

Warm greetings to Nick Pelling and thank you. My english may be bad, but not as bad as a google translation…

Thema: Spekulation | Kommentare (0) | Autor: