Dienstag, 4. November 2008 2:10
Zu den sonderbaren Tatsachen der scheinbaren »Sprache« des Voynich-Manuskriptes gehört es (unter anderem), dass die statistischen Eigenschaften dieser »Sprache« mit keiner europäischen Sprache vergleichbar sind, aber sehr wohl mit einigen fernöstlichen Sprachen, zum Beispiel der chinesischen. Die Theorie, dass es sich beim »Text« des Manuskriptes um eine phonetische Notation einer fernöstlichen Sprache handeln könnte, ist schon recht alt, aber bis heute diejenige Erklärung unter der Annahme einer natürlichen Sprache, die mit dem Textkörper am besten in Übereinstimmung steht.
Zwei Punkte widersprechen der »chinesischen Theorie« aber recht deutlich.
Zum ersten sind die Illustationen im Manuskripte völlig sicher europäisch und fügen sich recht zwanglos in ähnliche europäische Kompendien des astrologischen, kosmologischen, biologischen und medizinischen Wissens, dies aber nicht, ohne dabei einen Satz völlig einmaliger Besonderheiten aufzuweisen. (Insbesondere die Nymphen in den Röhrensystemen sind eine völlig einmalige und damit schwer deutbare Formensprache, für die sich bislang kein vergleichbares Beispiel gefunden hat.) Wie es nicht anders bei diesem Manuskript zu erwarten wäre, hat dieser Teil der Formensprache auch keine fernöstliche Tradition.
Zum zweiten verfügen die fernöstlichen Sprachen schon seit vielen Jahrhunderten über ein Schriftsystem, das völlig anderen Prinzipien folgt als das im Manuskripte anzutreffende System. Im Falle der chniesischen Sprache hat sich die bronzezeitliche, logografische Schrift vor allem deshalb erhalten, weil sie als exquisit nicht-phonetische Notation eine gemeinsame Schriftsprache über eine Vielheit gegenseitig unverständlicher Dialekte des Chinesischen geschaffen hat – wenn auch um den hohen Preis eines breiten Analphabetismus, da das Erlernen dieser Schrift ausgesprochen schwierig ist. Es würde doch ein wenig verwundern, wenn aus diesem Kulturraum ein Zeugnis eines alternativen Schriftsystemes entstanden wäre, dessen einziger Überrest von so deutlich europäischer Prügung ist.
Nun, das mit dem einzigen Überrest muss nicht unbedingt stimmen. Jorge Stofi hat der englischsprachigen Mailingliste vor kurzem ein bemerkenswertes Fundstück mitgeteilt, ein Foto einer alten Handschrift der vietnamesischen Sprache. (Diese Sprache teilt viele Gemeinsamkeiten mit der chinesischen.) Und das sieht doch recht »vertraut« aus, wenn man den Maßstab europäischer, phonetischer Schriftsysteme daran anlegt.
(Es sieht aber leider nicht so vertraut aus, dass man sofort einen Verwandten des Schriftsystemes im Voynich-Manuskript darin zu erblicken wähnt. Aber es zeigt, dass die »chinesische Theorie« gar nicht so abwegig sein muss.)