Eine Sprache

Nachdem ich die Arbeit an diesem leidigen Manuskript und seinen Transkriptionen so lange ruhen lassen habe, fühle ich doch wieder einmal ein gewisses Bedürfniss, über das Thema zu schreiben und eine Frage an das Manuskript zu beleuchten.

Die Frage, die ich mir heute stelle, ist leicht zu formulieren, aber schwierig zu beantworten: Handelt es sich bei der Glyphenfolge im Manuskript möglicherweise um eine direkt notierte Sprache?

Mit »direkt notierter Sprache« meine ich eine wie auch immer geartete phonetische Notation dessen, was Menschen sprechen. Dass es sich hier nicht um ein lateinisches Alphabet in einer lediglich unüblichen oder vergessenen Kursive handelt, sollte angesichts eines ersten Blickes in das Manuskript sofort klar werden:

Ein Beispiel-Absatz

Schon an diesem kleinen Beispielabsatz aus dem letzten Abschnitt des Manuskriptes fällt auf, dass gewisse Zeichen nur am »Wortanfang« auftreten, andere Zeichen hingegen fast nur am »Wortende«. Eine solche Erscheinung ist für das lateinische Alphabet völlig ungewöhnlich. Ebenso erscheint es wenig plausibel, dass die nach oben über die Schriftlinie hinausragenden Zeichen (die so genannten »Gallows«) in einer solchen Ausschließlichkeit die zweite oder dritte Position im »Wort« einnehmen sollten. (Lediglich das erste Wort eines Absatzes oder einer Zeile beginnt häufig mit einem solchen Zeichen.)

Gegen die Möglichkeit einer direkt notierten Sprache sprechen die Eigenschaften der »Wörter« und der »Wortfolgen«. Sie haben einen ungewöhnlich peniblen formalen Aufbau, und zudem sind aufeinanderfolgende »Wörter« oft sehr ähnlich oder sogar identisch. Wenn es eine Sprache wäre, hätten die Wörter die Eigenschaft, dass ihre Zeichen in einer bestimmten Sortierung aufträten und zudem aufeinander folgende Wörter große klangliche Ähnlichkeiten aufwiesen. Gesprochen klänge so etwas ungefähr wie: »quhaan hlun nam naam nalun um um uun quaam kuaam an«, wobei die hier verwendenten Laute natürlich völlig willkürlich gewählt sind.

Das ist aber kein Argument dafür, dass es sich nicht um eine Sprache handelt. Ganz im Gegenteil ist es eher ein Argument dafür, dass es sich nicht um ein einfaches Verfahren zur Verschlüsselung eines Textes handelt. Wenn es ein einfacher Schlüssel wäre, der Buchstaben auf bestimmte Zeichen abbildet, blieben dabei viele Eigenschaften des verschlüsselten Textes erhalten; wäre es hingegen ein komplexes Verfahren mit häufigen Schlüsselwechseln mitten im Text, so würde das Auftreten derart starker Regelmäßigkeiten verwundern. Ein Verfahren zur Verschlüsselung (und zwar eines, das mit mittelalterlichen Hilfsmitteln realisierbar ist), dass solche Strukturen erzeugt, suche ich schon recht lange…

Die Mondin mit den zwei SichelnWenn es sich um eine direkt notierte Sprache handelt, zeigt sich in solchen Strukturen die phonetische Struktur der Sprache. In diesem Fall kann eine Aussage über die Sprache des Manuskriptes gemacht werden: es ist gewiss keine europäische Sprache. Und das würde wiederum verwundern, da nichts im Manuskript auf einen außereuropäischen Ursprung hindeutet – schon gar nicht die Illustrationen. Diese sehen genau so aus, wie man es von einem späten mittelalterlichen Kompendium der Wissenschaft Europas erwarten würde. Deshalb erscheint es völlig unglaubwürdig, dass im Manuskript eine außereuropäische Sprache notiert sein sollte.

Darüber hinaus haben schon viele Forscher die Glyphen des Manuskriptes mit allen möglichen (und unmöglichen) Schriftsystemen verglichen, ohne dass dies irgend eine zwingende Ähnlichkeit zu Tage gebracht hätte. Das heißt natürlich nicht, dass nicht immer wieder einmal jemand mit hohem argumentativen Aufwand eine bestimmte Hypothese vertreten hätte, natürlich ohne, dass diese Hypothese Aufschluss über die Botschaft des Manuskriptes gegeben hätte.

Vexierbild eines TotenkopfesDas gesamte Manuskript hat viel von einem Vexierbild. In der einen Betrachtungsweise zeigt sich dieses Bild, in der anderen jenes. Es ist aber bei aller Bemühung nicht möglich, diese beiden Betrachtungen zu einem geschlossenen Bild zusammenzufügen und zu einer Einsicht zu kommen. Manchmal glaube ich, dass genau diese quälende Eigenschaft ein wesentlicher Bestandteil der Botschaft ist, vielleicht sogar die Hauptsache; und alle Bemühungen, der »Schrift« einen konsistenten, verständlichen und klaren Inhalt zu entreißen, werden für immer vergebens bleiben. Das Manuskript wäre denn nicht das scheinbare Kompendium einer Wissenschaft, sondern ein Kunstwerk. Aber ein solches Maß an Surrealismus, vielleicht sogar Dadaismus im künstlerischen Ausdruck will ebenfalls gar nicht in das späte europäische Mittelalter passen, aus dem dieses Buch voller Rätsel doch sicher stammt.

Ein Königreich für eine Zeitmaschine. 😉

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Datum: Freitag, 26. Januar 2007 1:35
Trackback: Trackback-URL Themengebiet: Kunst, Spekulation

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Ein Kommentar

  1. 1

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